Bericht über die Online-Tagung des Ethikvereins

von DPG

Bericht über die Online-Tagung des Ethikvereins: Umgang mit Transsexualität unter ethischen Aspekten - insbesondere bei Jugendlichen - am 11.6.21 von 18-21 Uhr

(Moderation Andrea Schleu und Jürgen Thorwart, circa 220 Teilnehmer)

Ich verwende der einfacheren Lesbarkeit halber die männliche Form, Frauen sowie Personen, die sich nicht binär definieren sind dabei eingeschlossen.

Tagungskonzept war: je ein Experten-Input von ca. 15 Minuten und Beantwortung nur vorab schriftlich gestellter Fragen. Spontane Wortmeldungen wurden so nur im Chat von vielen Teilnehmern parallel zur Diskussion äußerst kontrovers geführt. Fast alle Beiträge betonten ein extremes Dilemma: Zu schnelle Zustimmung zu den fast immer gewünschten, oft dringlich geforderten medizinischen Maßnahmen (Pubertätsblocker, Hormonbehandlung, geschlechtsangleichende Chirurgie) birgt die Gefahr, dass Jugendliche sich gefährlichen irreversibel schädigenden Maßnahmen unterziehen, die ihnen schaden können, oftmals nicht das erhoffte Ergebnis erbringen, evtl. später bereut werden. Dagegen steht das Leid der Betroffenen mit anhaltender Geschlechtsdysphorie, für die es eine längere, oft kaum erträgliche Wartezeit bedeutet, ihnen die Behandlung zu verweigern, was mit dem Risiko von verstärkter Depression und Suizidalität sowie unbefriedigenderen kosmetischen Ergebnissen einhergeht. Ebenso betonten fast alle Experten die Variabilität und Individualität der Fälle und die Notwendigkeit einer unvoreingenommenen Betrachtung des Einzelfalles.

Die analytischen Vorträge (Dr. Lily Gramatikov, Heidelberger Erwachsenen-Analytikerin und Gutachterin für die Bewilligung von Personenstands- und Namensänderungen sowie Hormonbehandlungen Transsexueller) und Dr. Adelheid Staufenberg, (Frankfurter KJ-Analytikerin) betonten die Bedeutung der Möglichkeit, bzw. Forderung längeren Reflektierens in einer Behandlung oder Beratung, sowie des zeitgleichen Ausprobierens eines sozialen Lebens in der gegengeschlechtlichen Rolle (sogenannter Alltagstest), um das transsexuelle Begehren und dessen äußere und innere Realisierungsmöglichkeiten zu überprüfen, statt es sofort in Handeln, d.h. körperverändernde Maßnahmen umzusetzen.

Lily Gramatikov sieht die Forderung nach Abschaffung der Alltagserprobung in der Leitlinie skeptisch: sie erhöhe das Risiko einer falschen Entscheidung. Eine einjährige therapeutische Begleitung biete beiden Beteiligten Sicherheit: Patienten die Überprüfung, ob ihre Wünsche einer gründlichen Reflexion und der Realität standhalten, der Gutachter, die Entscheidung mittragen zu können. Auch sei eine vorherige Auseinandersetzung unumgänglich, um ein evtl. mangelhaftes Ergebnis der medizinischen Behandlung aushalten zu können. Sie berichtete von zwei 19-jährigen Patienten, die beide sehr auf die Transition drängten, beide die gewünschte Geschlechtsrolle ausprobierten, der Verlauf aber unterschiedlich war. Der/ die eine entschloss sich nach mehreren Rollenwechseln zum Leben im biologischen Geschlecht, der/ die andere nach großen Ängsten vor der Behandlung und Abbrüchen schließlich doch zu Hormonbehandlung und OP. In jedem Fall sei die empfundene Inkongruenz von biologischem und gefühltem Geschlecht wie auch der angezielte Wechsel der Geschlechtsrolle eine ungeheure Herausforderung für das Selbst.

Adelheid Staufenberg leitete ihren sehr verdichteten Vortrag mit einem psychoanalytischen Blick auf die Pubertät als „traditionell turbulent“ ein und betonte die häufige Diskrepanz zwischen tatsächlichem und phantasiertem Körper. Heute müssten sich Jugendliche wegen der verfeinerten Möglichkeiten der Körperveränderung und eines anderen gesellschaftlichen Blicks auf dieses Anliegen nicht mehr mit dem realen Körper abfinden. Entspräche man den dringenden Wünschen sofort, übergehe man aber die sich dahinter verbergenden Probleme vorschnell und verhindere, dass die Jugendlichen doch noch Lösungen finden könnten, sich in ihrem Körper wohlzufühlen. Andererseits zwinge man sie so, ihren sich entwickelnden, heftig abgelehnten Körper zu spüren und den Aufschub der Transition auszuhalten. Die Verlangsamung der sexuellen Reife durch Pubertätsblocker könne zudem zu der Illusion führen, alles unter Kontrolle bekommen zu können. Sie zitierte Alessandra Lemma, die das Leiden an der erlebten Inkongruenz zwischen Körper und Seele betont. Eine zunächst freundlich wirkende Einwilligung von Eltern/Therapeuten in den Transitionswunsch sei oft unbewusst von dem Wunsch nach Anerkennung durch die Jugendlichen und von Konfliktvermeidung motiviert. Es gehe um die schwierige Unterscheidung zwischen den Jugendlichen, für die das Gesehenwerden als Transsexuelle die einzige Möglichkeit eines zufriedenen Lebens darstellt und denen, für die gerade das fatal wäre.

Jochen Kramer, Vorstandsmitglied VLSP* Verband – für lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, intersexuelle und queere Menschen in der Psychologie e. V, Stuttgart, sah die ethische Thematik ganz anders. Er thematisierte nicht die Problematik der medizinischen Behandlung bei Jugendlichen, sondern setzte sich grundsätzlich für den Respekt für Transsexuelle ein, an dem es im Gesundheitssystem mangele. Seiner Erfahrung nach gäbe es zwar bei manchen Transsexuellen einen großen Druck in Richtung schnellen Handelns, dies sei aber keineswegs die Regel. Auch er betonte, dass die sorgsame Abwägung der Chancen und Risiken jeder Entscheidung wichtig sei. Z.B hätten manche das Gefühl, sie müssten zu einer eindeutigen Entscheidung kommen, obwohl möglicherweise „ein fluider Lebensentwurf“ besser für sie passe. Manche wollten auch nur die äußere Veränderung ohne OP und vor allem die soziale Anerkennung im Wunschgeschlecht. Er lehnte den „Zwang zu Alltagstest und zur Psychotherapie“ sowie die damit verbundene Pathologisierung ab und beklagte eine „transnegative Haltung“. Ärzte verweigerten die Verschreibung der Hormontherapie oft; viele Transsexuelle fühlten sich auch in Psychotherapien nicht akzeptiert. Er appellierte an die Teilnehmer, Transpersonen zu unterstützen sowie „nicht-binär und nicht in diagnostischen Kategorien“ zu denken, sondern der Selbstwahrnehmung der Transpersonen zu vertrauen.

Thomas Lempp, Chefarzt des Clementine Kinderhospital, Klinik für Kinder- und Jugendpsychosomatik in Frankfurt, verhaltenstherapeutisch orientiert, bezog sich bei der ethischen Dimension des Themas auf die vier Kriterien von Beauchamp und Childress: Fürsorge, Autonomie, Nicht-Schaden und Gerechtigkeit seien hilfreich bei der Frage, ob man Jugendliche in die Transition begleiten solle. Die Autonomiedimension sei jahrelang vernachlässigt worden, man habe stattdessen in Kategorien von richtig und falsch gedacht und ein Machtgefälle zu den Patienten hergestellt. Die Fürsorge verpflichte zum Abwarten, um nicht vorschnelle Entscheidungen zu treffen. Der heikelste Punkt sei die Maxime des Nicht-Schadens. Da man nicht wissen könne, in welche Richtung die Entwicklung ginge, lägen im schnellen Handeln und im Abwarten Risiken, bei letztem vor allem Depression, Selbstverletzung und Suizid. Von den Kindern mit früher Geschlechtsdysphorie würden sich 12-39% zu Transpersonen entwickeln, 61-88% nicht. Das müsse man zusammen mit den Jugendlichen rausfinden, möglichst im Konsens mit den Eltern („shared decision making“). Er trat aber nicht grundsätzlich für Abwarten und gegen Pubertätsblocker oder Hormonbehandlung schon in der Pubertät ein. In manchen Fällen seien diese Behandlungen durchaus indiziert und bewirkten eine erhebliche Verbesserung der Lebensqualität. Andererseits solle die Pubertät nicht von vornherein unterdrückt werde, damit die Jugendlichen ihren sexuellen Körper erfahren könnten. Pathologisierung (mir schien allerdings: schon die Frage nach begleitenden Pathologien) lehnte er wie Jochen Kramer ab. Er plädierte für die Ermutigung der Jugendlichen zur Alltagserprobung in der gewünschten Geschlechtsrolle und ihre Begleitung dabei, um vorschnelle Schritte zu verhindern.

Thomas Gutmann, Lehrstuhlinhaber für Bürgerliches Recht, Rechtsphilosophie und Medizinrecht in Münster, behandelte die juristischen und rechtsphilosophischen Fragen in Zusammenhang mit Transsexualität, insbesondere bei Jugendlichen. Es gebe ein Grundrecht auf Selbstbestimmung über die „geschlechtliche Ausformung des eigenen Lebens“, sowie ein Grundrecht, ein Leben entsprechend des subjektiv empfundenen eigenen Geschlechts zu führen und darin akzeptiert zu werden. Die Gesetzesentwürfe der Grünen und der FDP pro Entscheidung über Personenstands- und Namensänderung ab dem 14. Lebensjahr ohne Gutachterpflicht wurden kürzlich abgelehnt, dies sei weiterhin umstritten. Grundsätzlich hätten aber auch Jugendliche die genannten Grundrechte, sofern sie “einsichts- und einwilligungsfähig“ seien, was nicht an einem konkreten Alter festgemacht werde. (Dies irritierte, weil sich dabei natürlich die Frage stellt, wer das im Konfliktfall mit den Eltern entscheidet, der Richter oder ein medizinisch-psychologischer Sachverständiger?) Die Frage, ob Minderjährige gegen den Willen der Erziehungsberechtigten eine Personenstands- oder Namensänderung beantragen können sollen, oder sogar eine Hormonbehandlung oder angleichende OP erhalten können, sei auch rechtlich umstritten. In der Praxis werde natürlich die von Lempp angesprochene Konsensbildung mit den Eltern angestrebt. Seien die Eltern in Einklang mit dem Kind, könnten sie auch schon bei Jugendlichen medizinischen Maßnahmen zustimmen, nicht aber über den Kopf ihres Kindes hinweg. Nur bei Missbrauch des Sorgerechts greife eine Schutzpflicht des Staates. (Hier ist wieder die Frage, wer den Missbrauch feststellt.) Die Geschwindigkeit der Selbstfindung sei extrem individuell, es gäbe in seltenen Fällen 10 bis 12jährige Kinder, die schon eine gefestigte Identität im empfundenen Geschlecht hätten. (Auch diese Behauptung befremdete.) Aus seiner Sicht gebe es „keine Evidenz zur Verpflichtung einer Psychotherapie“, sondern nur eine „Unterstützung der individuellen Entscheidungsfindung“. (Man fragt sich, wer diese Unterstützung seiner Meinung nach bei einer derart eingreifenden Lebensentscheidung bei Jugendlichen leisten sollte, wenn nicht Fachleute.)

Alexander Korte, Sexualmediziner, stellv. Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der LMU, Autor der fachärztlichen & sexualwissenschaftlichen Stellungnahme zu den Referentenentwürfen zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes und zum Erlass eines ›Gesetzes zur geschlechtlichen Selbstbestimmung‹, wurde von Herrn Thorwart als Vertreter einer Minderheitenmeinung vorgestellt. 

Die Geschlechtsdysphorie habe vor allem bei Mädchen seit 2006 exponentiell zugenommen (von 2009-2019 um 1500%!) insbesondere die Anzahl derer, die erst in der Pubertät zu der Überzeugung kommen, dass sie im falschen Körper seien (Rapid-onset gender dysphoria). Der Begriff „transsexuell“ sei zunächst eine „Selbstkategorisierung“ (vgl. Gramatikov: „Selbstdiagnose“) und habe nicht notwendig Krankheitswert. Nur eine Geschlechtsdysphorie mit klinisch relevantem Leidensdruck sei behandlungsbedürftig und -berechtigt. Die Selbstkategorisierung sei häufig nur temporär und körpermedizinische Maßnahmen oft nicht indiziert. Dauerhaft irreversible „Persister“ seien 12% der Mädchen und 20% der Jungen aus der Gruppe mit Geschlechtsdysphorie, der Rest sind sogenannte „Desister“ (leicht variierende Studien-Zahlen) und ein relativ hoher Anteil homosexueller Entwicklungen. Problematisch sieht Korte die medial verbreitete vermeintliche Wahrheit der „Figur des Transgender-Kindes“ und Reproduktion geschlechtlicher Stereotypien, die viele Jugendlichen stark beeinflusse. Das ethische Problem ergebe sich daraus, dass man nicht wissen könne, ob die Geschlechtsdysphorie im individuellen Fall persistiere; aber auch daraus, dass die Langzeitfolgen der Pubertätsblocker (hormonähnliche Substanzen, die die körperliche Entwicklung verhindern, z. B. die Brustentwicklung und Menses unterdrückt) noch nicht ausreichend erforscht seien und dass Hormontherapie und operative Chirurgie eingreifende, risikoreiche und irreversible Eingriffe seien. Pubertätsblockade führe faktisch immer zur nachfolgenden Hormonbehandlung und verunmögliche damit den Jugendlichen die Auseinandersetzung mit dem sich entwickelnden Geschlecht. Hinzu komme die sichere Folge dauerhafter Infertilität und Verhinderung der Reproduktion sowie die möglichen/wahrscheinlichen Folgen einer dauerhaften Beeinträchtigung der sexuellen Empfindungsfähigkeit sowie anderer noch nicht ausreichend erforschter körperlicher, kognitiver und psychischer Nebenwirkungen (z. B. reduzierte Knochendichte, erhöhtes Längenwachstum). Er kam zu dem Schluss, dass Kinder und Jugendliche die langfristigen Folgen einer medizinischen Transitionsbehandlung aufgrund mangelnder kognitiver und emotionaler Reife nicht hinreichend erfassen können und daher auch nicht autonom einwilligungsfähig seien. Ein „informed consent“ sei zudem wegen fehlender Evidenz bezüglich der Langzeiteffekte der Pubertätsblocker nicht möglich. Korte betonte: Kindeswille ist nicht gleich Kindeswohl. Die Vorteile für die Persister bei Erlaubnis von Behandlungen in jüngerem Alter heben die Nachteile für die Desister nicht auf.

Abschließender Eindruck:

Im Chat wurde viel Anerkennung für die Vorträge, aber auch Kritik und Unmut geäußert. Sehr viel Ärger verursachte Kortes Bezeichnung von “Trans“ als Modediagnose. Auch seine grundsätzliche Ablehnung der medizinischen Behandlung bei Jugendlichen stieß auf einigen Widerspruch. Kontrovers wurde auch die Zufriedenheit nach medizinischen Angleichungsmaßnahmen sowie das Depressions- und Suizidrisiko nach erfolgter Geschlechtsangleichung kommentiert. (Widersprüchliche Ergebnisse in verschiedenen Studien)

Einigkeit schien dennoch zu bestehen, dass in vielen Fällen dauerhafter transsexueller Identität die medizinische Angleichung an das Wunschgeschlecht eine Erleichterung durch die Reduktion des Erlebens von Inkongruenz ermöglicht. Zentral sei für alle Betroffenen das Gesehen - und Akzeptiert werden in dieser Geschlechtsrolle unabhängig davon, ob sie sich zur vollen Transition entschließen.

Insgesamt lohnte die Teilnahme an der Veranstaltung sehr, sie führte mit viel sachlicher Information und klinischer Erfahrung in die enorme Komplexität des Themas ein und verdeutlichte die Vielzahl unterschiedlicher Haltungen zu dem Phänomen Transsexualität und seinen so gravierenden ethischen Implikationen. Wie affektiv, ideologisch und politisch aufgeladen diese Debatte derzeit ist, wurde ebenfalls spürbar. So war die Verunmöglichung einer direkten Diskussion zwischen Experten und Teilnehmern vielleicht nicht nur zu bedauern, da der vom Ethikverein gefundene Modus eine im Wesentlichen sachlich bleibende Darstellung unterschiedlicher Positionen ermöglichte. Bedauert habe ich allerdings, dass die Problematik der Geschäftsinteressen privater Transgenderkliniken und der Pharmaindustrie, die bei der beschriebenen Expansion entsprechender Behandlungen vermutlich eine ungute Rolle spielen, von keinem der Experten angesprochen wurde.

Bettina Herrmann, 29.07.21

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Kritische Anmerkung zum Bericht über die Online-Tagung des Ethikvereins

Ich schreibe diese Zeilen als DPG-Mitglied, es ist eine persönliche Anmerkung.

Auf der DPG Homepage lese ich einen Bericht über die Online-Tagung des Ethikvereins zum Umgang mit Transsexualität. Ich danke für diesen ausführlichen, kritischen und differenzierten Bericht, jedoch befremdet mich stark das Hervorheben des generischen Maskulinum in der Einleitung eines Berichts zu einem Trans-Seminar.
 
Ich würde mir wünschen und halte es in Anbetracht der Konferenz, auf den sich der Bericht bezieht, für angemessen, dass ein Kommentar zu einem Thema der Geschlechtsidentität - dieser kann und soll (ideologie)kritisch sein - auf der DPG-Homepage gendersensibel zur Verfügung gestellt wird.
 
Bernd Heimerl, Berlin
 
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Antwort auf die kritische Anmerkung zum Bericht über die Online-Tagung des Ethikvereins

 

Lieber Herr Heimerl,

vielen Dank für Ihre anerkennenden, aber auch für Ihre kritischen Bemerkungen zu meinem Bericht über die Onlinetagung des Ethikvereins. Es ist ja das Anliegen der Homepage, dass die Mitglieder sich austauschen und auch auseinandersetzen.

Es tut mir leid, wenn Sie meinen Sprachgebrauch als unbedacht oder unsensibel empfunden haben, es war nicht meine Absicht, jemanden zu verletzen. Ich hatte im Gegenteil mit meiner Formulierung versucht, alle Menschen und sexuellen Identitäten einzuschließen. Aber sowohl meine Formulierung als auch Ihre Reaktion zeigt ja, wie heikel und kontrovers die Diskussion um die gegenderte Sprache derzeit ist.

Beim Nachdenken, wie ich die Genderfrage sprachlich handhaben soll, bin ich auf einige Schwierigkeiten gestoßen. Zum einen entspricht das generische Maskulinum natürlich meinen jahrzehntelangen Sprachgewohnheiten und ist einfach lesbar. Für meine Entscheidung gab es aber noch weitere Gründe, bzw. befand ich mich in einem Dilemma. Das traditionelle generische Maskulinum ohne eine weitere Erläuterung könnte auch für mein Empfinden besonders bei diesem Thema, das die Geschlechtsidentität betrifft, leicht mit einer konservativen, antiemanzipatorischen Position verbunden werden. Die beide Geschlechter benennende Formulierung (Patientinnen und Patienten) schien mir ebenfalls nicht zu passen, da hier die Personen sprachlich ausgeschlossen werden, die sich nicht binär definieren. Deswegen habe ich überlegt den Genderstern zu verwenden, habe aber befürchtet, dass dies als politisches Statement zugunsten bestimmter genderpolitischer Positionen verstanden werden könnte, mit denen ich mich nicht identifizieren kann. Mir wurde dabei sehr bewusst, dass jede Schreibweise als politisches Statement aufgefasst werden kann. Tatsächlich habe ich keine dieser Möglichkeiten als gänzlich stimmig empfunden und fühle mich hinsichtlich dieser Fragen ohnehin in einem Lernprozess, in dem Gewohntes in Frage gestellt wird. So kam es zu dem Kompromiss einer Vorbemerkung, den Sie in Ihrem Kommentar kritisieren und für den ich um Verständnis als Ausdruck eines Ringens um einen stimmigen und inklusiven Sprachgebrauch bitte.

Vor diesem Hintergrund hoffe ich auf einen weiteren konstruktiven Austausch über diese Fragen in der DPG.

Mit freundlichen Grüßen,

Bettina Herrmann, München 14.9.2021

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