Bericht von der 11. kleinianischen Fallkonferenz in Frankfurt 2024

von DPG

Insofern begann die Einstimmung auf die Konferenz mit der Diskussion dieses gleichermaßen bereichernden wie herausfordernden Textes. Griers Verständnis von Illusion lädt dazu ein, sich gedanklich auf die Nicht-Wiederholbarkeit der analytischen Erfahrung – das kann eine bestimmte Stunde sein oder eine bestimmte Sequenz innerhalb einer Stunde – einzulassen und sich damit auseinander zu setzen, dass (Beziehungs-)Phänomene ihrem Wesen nach vergänglich sind und sich jedem Versuch entziehen, ihrer dauerhaft habhaft zu werden (z.B. durch das Protokollieren von Stunden), sie jedoch zugleich manchmal „life-changing“ (S.989) und somit nachhaltig wirksam sein können: „it really needs to take place in the illusory if it is to be real“ (Grier, 2023, S.991). 

Bei der Begrüßung am Freitagabend in der am Frankfurter Römer gelegenen Evangelischen Akademie erinnerten Gudrun Wolber und Samuel Kenntner von der Vorbereitungsgruppe an den Tod von Gisela Klinckwort. Mir fiel im Zuge dessen wieder ein, dass es vor einigen Jahren Frau Klinckwort gewesen war, die mich in einem kurzen Gespräch auf der ktK in Brüssel zur Teilnahme an der kleinianischen Konferenz – damals noch mit Richard Rusbridger – ermuntert hatte: das mit dem Englisch würde schon klappen. Davon hatte ich mich 2022 in Hamburg überzeugen können. Ich hatte die Konferenz als inspirierend und hilfreich für meine klinische Arbeit erlebt und nicht gezögert, mich in diesem Jahr erneut anzumelden.

Nach der Begrüßung und Vorstellungsrunde lud Francis Grier, der sich als Psychoanalytiker, Musiker und Komponist schwerpunktmäßig mit der Musikalität in der analytischen Beziehung beschäftigt, dazu ein, sich mehr dem Klang und Rhythmus der Stimme zu überlassen, nicht an Wortbedeutungen zu kleben und eventuell aufkommende Bedürfnisse nach vorschnellem Verstehen zu suspendieren. Im Grunde genommen ermöglichte er uns ein genuin psychoanalytisches Hörerlebnis. Leider verblieb danach nur noch wenig Zeit für die Diskussion, die angesichts der Komplexität des Textes meinem Eindruck nach mehr Zeit benötigt hätte. Immerhin konnte noch die Frage nach der Vermittelbarkeit der von Grier beschriebenen Denkfiguren in der psychoanalytischen Ausbildung gestellt werden und auch behandlungstechnische Überlegungen bekamen noch Raum. Beispielsweise wurde die Frage gestellt, wie es uns als Analytiker:innen, die wir es gewohnt sind, die Wahrnehmung und Reflexion der Gegenübertragung im Abgleich mit dem Material zum Verstehen zu nutzen, gelingen kann, uns mehr der Musikalität in der analytischen Beziehung zu überlassen. Griers Antwort: „It’s impossible not to participate in the music”. Beim anschließenden Abendessen auf der Terrasse des Restaurants “Schwarzer Stern“ konnten diese spannenden Fragen noch ein bisschen weitergedacht werden, vor allem aber der schöne Spätsommerabend und der Austausch mit den Kolleg:innen in entspannter Atmosphäre genossen werden.

Der Samstag stand im Zeichen von zwei beeindruckenden Fallvorstellungen: Beide Behandler:innen waren auf ihre je eigene Weise intensiv mit den ubw Prozessen ihrer Patient:innen befasst und verstanden es, z.T. weit fortgeschrittene Analysen so atmosphärisch dicht zu schildern, dass lebhafte Diskussionen entstehen konnten und dass der Umstand, dass die Konferenzsprache Englisch war, meinem Eindruck nach eine eher untergeordnete Rolle spielte.

Vormittags machte Dimitri Natochen erfahrbar, wie fragil Momente authentischer Begegnung zwischen Patient:innen und Analytiker:innen sein können und wie konstant sich Zweifel an der Wahrhaftigkeit mancher Selbstäußerungen von Patient:innen halten können, wenn Patient:innen ihr Leben lang mit der Schwierigkeit kämpfen, wirklich in Kontakt mit bedeutsamen Anderen zu kommen, und wenn Illusionen über sie selbst und andere z.T. identitätsstiftenden Charakter haben. Auch wurde im Zuge dieser spannenden Fallvorstellung greifbar, wie sich infolge von Momenten authentischer Begegnung Hoffnungslosigkeit im Analytiker ausbreiten und das bisher Erreichte in Frage gestellt werden kann. In der Diskussion kam u.a. die Frage auf, inwiefern es möglich werden kann, der patientenseitigen Einladung zu einer gemeinsamen illusionären Verkennung ‚der Realität‘ ein Stück zu folgen, somit die Intensität und Intimität solcher psychischer Zustände gemeinsam zu durchleben, um sodann das Betrauern und die Akzeptanz der facts of life anders erfahrbar zu machen. Schließlich wurde zur Diskussion gestellt, inwiefern Analytiker:innen manchmal akzeptieren müssen, dass trotz gut voranschreitender analytischer Arbeit bei manchen Patient:innen Schwierigkeiten, in Kontakt zu kommen, bestehen bleiben. Hierzu ein Zitat aus Griers Aufsatz: „In fact, part of coming to terms with reality in the maturation process involves accepting, if not quite embracing, the fact that the immature side of our psyches is always going to give us trouble“ (Grier, 2023, S. 998).

Nachmittags konzentrierte sich die Diskussion des reichen Fallmaterials von Bahar Qurban u.a. auf die Frage, wie wir als Analytiker:innen eine gute Beziehung zu unserem analytischen Objekt und zur Deutung aufrecht erhalten können, wenn Patient:innen Übertragungsdeutungen wiederholt zurückweisen müssen. Die Auseinandersetzung der Gruppe mit dem Fallmaterial verlief durchaus kontrovers und war zugleich getragen von Empathie für Patient:innen, die sich vielleicht in der Behandlungssituation manchmal wie rebellische Kinder fühlen und in einem furchtbaren Konflikt stecken, weil sie ihre Analytiker:innen sehr bewundern und brauchen, diese Angewiesenheit jedoch als immens beschämend erleben. Ausgehend hiervon konnten dann kreative Ideen zum Umgang mit dem o.g. behandlungstechnischen Dilemma entstehen. Grier brachte immer wieder Assoziationen zur Figur des Pagen Cherubino aus Mozarts Le nozze di Figaro in die Diskussion ein und ermunterte diejenigen, die die Oper noch nicht angeschaut hatten, dies am besten noch am selben Abend zu tun. Denn Mozart habe es wie kein anderer Komponist verstanden, der Nähe zwischen Komik und Ernsthaftigkeit künstlerisch Ausdruck zu verleihen. Ich bin mir sicher, dass Grier hier ganz im Einklang mit seinem Aufsatz eine Live-Opernaufführung meinte, die in ihrer Einzigartigkeit eben nicht wiederholbar ist und zugleich das Potenzial hat, sich dauerhaft ins sinnliche Erleben einzuschreiben, somit im besten Sinne „takes place in the illusory“.

Am frühen Samstagabend ging dann eine Konferenz zu Ende, die ich persönlich als sehr bereichernd erlebt habe dank eines inspirierenden Supervisors, als dessen bemerkenswerteste Eigenschaft mir in Erinnerung bleiben wird, freundlich nahbar und unkapriziös angenehme und weniger angenehme ‚Wahrheiten‘ mitzuteilen und dank zweier Fallvorstellungen, von denen ich profitiert habe und viele Anregungen für die eigene klinische Arbeit mitnehme. Die freundliche kollegiale Atmosphäre, gute Verpflegung und kurzen Wege zwischen Hotel, Tagungsstätte, Restaurant und Main haben das Konferenzerlebnis noch runder gemacht. Vielen Dank an die Vorbereitungsgruppe für die Planung und Ausrichtung dieser Konferenz!

Indra Ropinski, IPPSW Bad Berleburg

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