„Die wahre Geschichte von Sigmund Freud“- Ein Bericht
von DPG
Kammerspiele Hamburg. Foto: Klara Vandreier
Wer kennt nicht diese Situation: Eine Gruppe von Menschen trifft zusammen, es wird ein gemeinsames Interesse für ein Thema festgestellt, die Idee für ein Projekt entsteht, alle sind Feuer und Flamme – und dann verläuft das Ganze im Sande. Umso überraschender ist es für mich im Rückblick, dass das Ensemble „Berggasse 19“, bestehend aus mehreren Ausbildungskandidat:innen des DPG-Instituts Hamburg, eben dieses Schicksal nicht erlitten hat, sondern nach monatelangem gemeinsamen Proben tatsächlich mehrere Aufführungen des Theaterstücks „Die wahre Geschichte von Sigmund Freud“ von Susann Heenen-Wolff auf die Bühne gebracht hat (eine davon sogar als Gastspiel in Berlin!). Und das alles trotz der vielfachen Belastungen und Verpflichtungen, die eine analytische Ausbildung sowieso schon mit sich bringt. Aber von Anfang an.
Zum ersten Mal tauchte die Idee, die Geschichte der Psychoanalyse zum Theaterprojekt zu machen bereits 2016 auf, als Elisabeth Burchardt nach einem Vortrag von Susann Heenen-Wolff mit dieser ins Gespräch kam und von ihrer „wissenschaftlichen Komödie“ erfuhr, die zu diesem Zeitpunkt noch schlicht „Berggasse 19“ hieß. Erst Jahre später entstand dann eine kleine selbstorganisierte Gruppe von Ausbildungskandidat:innen des DPG-Instituts Hamburg sowie dem Germanistik Professor Till Huber, in der es um kreative Prozesse gehen sollte: ums Schreiben, um Hörspielaufnahmen, ein gemeinsames Herumexperimentieren mit Tonaufnahmen und ums Theaterspielen. Die Idee vom 2016 verdichtete sich nun weiter zum Vorhaben – und wurde endlich zum Projekt. Potenzielle Mitlesende wurden angefragt und eine nun erweiterte Gruppe fand sich zum „Ensemble Berggasse 19“ zusammen.
Dieses setzte sich letztendlich zusammen aus acht Kandidat:innen aus verschiedenen Ausbildungsabschnitten und mit unterschiedlichen Theater- und Bühnenerfahrungen. Die Produktionsleitung wurde übernommen von Elisabeth Burchhardt und John Meister. Elisabeth Burchhardt, die vor ihrer psychoanalytischen Ausbildung als Dramaturgin und Kulturjournalistin tätig war, konnte auf diese Art ihre beiden Berufe und Leidenschaften (Theater und Psychoanalyse) gut miteinander vereinen. Auch für John Meister, der seit seiner Schulzeit eine große Liebe für Musik und Laienschauspiel pflegte, konnte sich durch die musikalische Gestaltung des Stücks (sowohl als Komponist als auch als Pianist) kreativ einbringen.
Die Rollenverteilung erfolgte mit viel Gespür durch Elisabeth Burchhardt, so dass letztendlich Samantha Schröder als Sigmund Freud, Maike Vandreier als Anna Freud, Moritz Happel als Sándor Ferenczi, Theresa Vos in einer Doppelrolle als Carl Gustav Jung sowie als Melanie Klein, Elisabeth Burchhardt als Marie Bonaparte, Katharina Wissert als Lou Andreas-Salomé, John Meister als Jacques Lacan, und ich, Lara Rustemeyer, als Erzählerin auf der Bühne standen. Die Handlung des Stücks spielt in Wien um die Jahrhundertwende und zeigt Sigmund Freud, der sich als Vater der Analyse im Rahmen der Mittwochsgesellschaft unter anderem mit der Frage herumschlägt, ob die neu aufkommenden Ideen der Mitglieder der Wiener Psychoanalytischen Gesellschaft seiner Sache eigentlich dienen oder doch eher schaden. Seine Tochter Anna Freud ringt derweil mit ihrer Liebe für Frauen. Sándor Ferenczi vertritt neue Behandlungsansätze, die in der Gruppe für leidenschaftliche Diskussionen sorgen. Prinzessin Marie Bonaparte sucht nach Gründen für ihre Frigidität und konkurriert mit Lou Andreas-Salomé, der „Dichterin der Psychoanalyse“. Melanie Klein - depressiv, mit Ehe und Mutterrolle ringend - tritt als Analysandin von Ferenczi auf, und Carl Gustav Jung ist in seinem finalen Disput mit Freud zu erleben. Währenddessen kann Jacques Lacan - der eigentlich einer anderen psychoanalytischen Generation angehört - es sich nicht verkneifen, sich immer wieder in die Diskussion der anderen einzumischen.
Der Einsatz der Musik, welche John Meister schon vor einiger Zeit komponiert hatte, beschränkte sich ursprünglich nur auf ein Leitthema am Anfang und Ende des Stücks sowie in der Pause. Die Stücke kamen im Ensemble aber so gut an, dass bald der Wunsch nach noch mehr musikalischer Gestaltung entstand, woraufhin noch weitere Stücke komponiert wurden. So wurde beispielsweise die Szene mit C.G. Jung eingeleitet von mysteriösen Klängen. Ähnliche Harmonien fanden sich in den Szenen rund um die Bedrohung durch die NS wieder, wobei die Musik dort von starken Rhythmuswechseln und größerer Dissonanz geprägt war. Während sich im orientalisch klingenden Leitthema Marie Bonapartes deren Orientierungslosigkeit in genitaler Hinsicht wiederfand, tauchte bei Melanie Klein das berühmte Tristan-Motiv aus Wagners Oper auf – als Anspielung auf Melanie Kleins unglückliche Ehe. Im Nachhinein fiel darüber hinaus – ganz im Lacan’schen Sinne - die Wortähnlichkeit zwischen der Kirchentonart lydisch des Leitthemas und dem Wort jüdisch auf.
In zahlreichen Proben tasteten wir uns, einzeln und als Gruppe, nach und nach an die Figuren und die szenische Umsetzung heran. Sich in einem sehr wertschätzenden Miteinander immer tiefer in die Welt des Stückes zu begeben, war für die meisten von uns eine ganz neue Erfahrung. Das detailreiche gemeinsame Erarbeiten der Szenen, der Beziehungen zwischen den historischen Persönlichkeiten und der Facetten jeder einzelnen Rolle bedeutete ein immer tieferes Eintauchen in diese - im Vergleich zur normalen psychoanalytischen Tätigkeit ganz andere und auf spannende Art doch auch wieder wesensverwandte neue Welt. Ein interessanter Aspekt daran war natürlich auch, den aus Lehrbüchern vertrauten psychoanalytischen Persönlichkeiten noch einmal auf ganz eigene Art – einfühlend, Dynamiken nachspürend - näherzukommen und dadurch zu neuen theoretischen und historischen Erkenntnissen zu gelangen. Aber auch das Nachdenken über die „äußere Realität“ half: Kostüme und ausgewählte Requisiten – beispielsweise eine E-Zigarre für Sigmund Freud – erleichterte das Hineinschlüpfen in die jeweilige Rolle. Während der Proben hatte es immer wieder Kontakt zur Autorin gegeben, wobei sie uns das Gefühl vermittelte, dass wir durchaus mutig mit dem Stück arbeiten durften.
Geprobt wurde unter Zuhilfenahme von vielen Tassen Kaffee (bzw. Gläsern Sekt) und Franzbrötchen teils abends in den Praxisräumen der Gruppenmitglieder, teils am Wochenende im Logensaal der Hamburger Kammerspiele, in dem auch die späteren Aufführungen stattfinden würden. Obwohl dies neben Behandlungen, Berichteschreiben und Seminaren eine zusätzliche zeitliche Belastung bedeutete, hatten diese Proben doch immer wieder eine inspirierend-beflügelnde Wirkung. Das gemeinsame Ausprobieren, Umdenken, Spielen war bald mehr als ein kreatives Hobby: Die Gruppe wuchs auch immer mehr zusammen, und schließlich ging es darum, das Ganze tatsächlich auf die Bühne zu bringen. Geplant waren zunächst zwei Vorstellungen in Hamburg, eine davon vor Freund:innen und unseren Familien, die andere für die Öffentlichkeit. Zu den sehr intimen Fragen der kreativ-emotionalen Umsetzung des Stücks kamen nun ganz praktische Fragen hinzu. Wie lang sollte die Pause sein? Wie teuer die Tickets? Auf welche Art soll das Scheinwerferlicht eingesetzt werden und sollte es vorweg eine Rede geben? Insbesondere am ersten Aufführungsabend war die Nervosität und Anspannung beinahe physisch greifbar - und umso wichtiger war das Gefühl, sich auf die anderen in der Gruppe verlassen zu können. Eine große Bereicherung am Abend der öffentlichen Aufführung war die Anwesenheit von Susann Heenen-Wolff, die nicht nur als Zuschauerin der Vorstellung beiwohnte, sondern hinterher für ein Publikumsgespräch die Bühne betrat. Zusätzlich zu den beiden Hamburger Aufführungen folgte mehrere Monate später dann noch ein Gastauftritt beim Symposium zur Geschichte der Psychoanalyse an der IPU in Berlin. Durch die tatkräftige und kreative Unterstützung zweier im Theaterbetrieb tätigen Freunde der Gruppe gelang es dort sogar, eine Bühne inklusive Kulisse zu bauen und dadurch den gewöhnlichen Seminarraum in einen kleinen Theatersaal zu verwandeln.
Rückblickend lässt sich sagen, dass die Arbeit an dem Stück „Die wahre Geschichte von Sigmund Freud“ eine auf vielen Ebenen bereichernde und inspirierende Erfahrung war, die Lust auf weitere ähnliche Projekte geweckt hat!
Unser Dank geht an den Verein der Freunde und Förderer der IPU Berlin e.V., die den Auftritt in Berlin finanziell unterstützt haben.
Hamburg, 10.6.2024, Lara Rustemeyer, Ensemblemitglied