Erklärung des Vorstands der DPG zur Situation in Israel und Gaza zwei Jahre nach dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel vom 07.10. 2023
von DPG
Zwei Jahre liegt der terroristische Überfall der Hamas auf Israel zurück. Heute müssen wir feststellen, dass sich die in unserer Stellungnahme vom 28.10.2023 ausgedrückte Hoffnung „auf die (Wieder-)aufnahme eines Dialogs aller Beteiligten, der eine grundlegende Voraussetzung für den dringend benötigten Friedensprozess darstellt“, nicht erfüllt hat. Im Gegenteil:
- Noch immer befinden sich israelische Geiseln in der Gewalt der Hamas. Sofern sie überhaupt noch am Leben sind, befinden sie sich in einem Zustand von Entkräftung auf Grund von Hunger, Folter und unterlassener medizinischer Hilfe.
- Gleichzeitig ist die humanitäre Lage im Gazastreifen infolge der israelischen Angriffe wie auch der Tatsache, dass die Hamas die eigene Bevölkerung als lebende Schutzschilde missbraucht, katastrophal. Die Infrastruktur ist weitgehend zerstört. Zehntausende Menschen – darunter viele Frauen und Kinder – sind verletzt und getötet worden. Hunderttausende von palästinensischen Zivilisten haben durch Zerstörung und Vertreibung ihre Häuser und Wohnungen verloren.
- Nach einem aktuellen Bericht des IPC (Integrated Food Security Phase Classification; s. auch Stellungnahme der Welthungerhilfe vom 22.08.2025) besteht in Teilen des Gazastreifens eine Hungersnot, wodurch gegenwärtig über 600.000 Menschen akut vom Hungertod bedroht sind.
- Dass Israel der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza gezielt Nahrungsmittel vorenthält, ist eine schwerwiegende Verletzung des Rechts auf Nahrung und verstößt gegen das humanitäre Völkerrecht. Werden Nahrungsmittel der Zivilbevölkerung vorsätzlich als Methode der Kriegsführung vorenthalten, so handelt es sich um ein Kriegsverbrechen (s. Stellungnahme des vom deutschen Bundestag finanzierten deutschen Instituts für Menschenrechte vom 01.08.2025).
Angesichts dieser Gesamtsituation fordern wir einen anhaltenden Waffenstillstand, den Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung und der humanitären Helfer und Helferinnen sowie den sicheren und ungehinderten Zugang der benötigten Hilfsgüter auf dem schnellsten Weg. Gleichzeitig erneuern wir unsere Forderung, alle israelischen Geiseln unverzüglich freizulassen.
Als Psychoanalytiker:innen besorgt uns, dass beide Völker – sowohl Israel wie auch die palästinensische Bevölkerung - fortgesetzt schwerste Traumatisierungen erleiden. Eine Heilung erscheint zum jetzigen Zeitpunkt kaum vorstellbar, jedenfalls wird der Weg dorthin noch sehr lang sein. Voraussetzungen dafür, dass dieser Weg überhaupt begonnen werden kann, sind eine Beendigung der Kriegshandlungen und eine angemessene Versorgung der Bevölkerung. Unsere Anteilnahme gilt allen betroffenen Menschen in der Region.
Besonders verbunden fühlen wir uns mit den psychoanalytischen Kolleginnen und Kollegen, die vor Ort mit den Opfern therapeutisch arbeiten: Sowohl den israelischen Kolleginnen und Kollegen, die mit den Überlebenden, den zurückgekehrten Geiseln und ihren Angehörigen arbeiten und sich gleichzeitig mit politischen Aktionen gegen die nicht mehr zu rechtfertigende Politik der israelischen Regierung wenden - wie auch den palästinensischen Kolleginnen und Kollegen, die unter unvorstellbaren Bedingungen versuchen, Leid, insbesondere von Kindern, zu lindern.
Als Psychoanalytiker:innen in Deutschland fühlen wir uns verzweifelt und zerrissen zwischen einem besonderen Verantwortungsverhältnis gegenüber den Menschen in Israel vor dem Hintergrund unserer deutschen Geschichte und der aktuellen Notwendigkeit, die destruktive Politik der israelischen Regierung eindeutig verurteilen zu müssen.
Unsere Expertise als Psychoanalytiker:innen liegt nicht darin, politische Lösungen dieses Konflikts anzubieten. Wir können jedoch eine fachliche Einschätzung anbieten, welches seelische Klima notwendig wäre, um Fortschritte zu erreichen:
Die gegenwärtige toxische Polarisierung, die durch massive Spaltung und Projektionen gekennzeichnet ist, durch die die jeweils andere Seite dehumanisiert wird und ihr die Existenzberechtigung abgesprochen wird bzw. die Vernichtung gerechtfertigt wird, müsste durch ein Klima von Dialog, realer Begegnung und auch konstruktiver Auseinandersetzung ersetzt werden, so dass auf diese Weise ein hilfreiches „Drittes“ entstehen kann, mithilfe dessen Anerkennung von eigener Verantwortung, Perspektivenwechsel und schließlich Trauer möglich werden.
Dies gilt nicht nur für die Region selbst, sondern auch für die Debatte bei uns, die ebenfalls eine zunehmende Polarisierung erfahren hat. Als Psychoanalytiker:innen sehen wir für uns die Aufgabe, an der Entwicklung solcher (Denk-)räume mitzuwirken, in denen die Position des Anderen ausgehalten wird, auch wenn sie nicht die eigene ist.
Wir hoffen darauf, dass die Bemühungen in diese Richtung von vielen Menschen – in der Region und weltweit – sich am Ende gegen die gegenwärtig vorherrschenden Omnipotenzfantasien und die Destruktivität durchsetzen werden.
Der Vorstand der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG)
Eckehard Pioch
Vorsitzender
13. September 2025