Gefährdung des Frankfurter Lehrstuhls für Psychoanalyse

von DPG

F.A.Z., 07.12.2021, Hochschule (Rhein-Main-Zeitung), Seite 32 - Ausgabe R-DA, R-WI, R-MK, R-HT, R-F - 835 Wörter

Wird die Psychoanalyse an den Rand gedrängt?

FRANKFURT Die Goethe-Uni will Psychologie-Professuren verfahrensoffen ausschreiben - Präsident und Dekan verteidigen sich gegen Kritik

Selten wird so lebhaft über die Neubesetzung einer Professur diskutiert - und das, bevor die Stelle überhaupt ausgeschrieben ist: Es geht um die Frage, wer Tilmann Habermas nachfolgen wird, wenn er demnächst in den Ruhestand geht. Der 1956 geborene Sohn des Philosophen Jürgen Habermas leitet am Institut für Psychologie der Goethe-Universität den Arbeitsbereich Psychoanalyse. Damit vertritt er prominent eine Richtung der Psychotherapie, um deren angemessene Repräsentanz in Frankfurt nun manche fürchten. Denn der Fachbereich Psychologie und Sportwissenschaften plant, den Lehrstuhl verfahrensoffen wiederzubesetzen - das heißt, ohne ausdrückliche Widmung für die Psychoanalyse. In dieser Woche soll sich der Fachbereichsrat mit dem Ausschreibungstext befassen.

Kritiker sehen in dem Vorhaben einen Traditionsbruch und empfinden es als Angriff auf eine Therapieschule, deren Bedeutung gerade angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Konflikte hoch zu schätzen sei. Von einem "Affront gegen Freud und Mitscherlich" sprach Marianne Leuzinger-Bohleber, ehemalige Leiterin des Frankfurter Sigmund-Freud-Instituts, kürzlich in einem Gastbeitrag für die F.A.Z. Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, habe 1930 den Goethepreis der Stadt Frankfurt erhalten, und Alexander Mitscherlich, erster Direktor des Freud-Instituts, sei auf einen fachbereichsübergreifenden Lehrstuhl an der Goethe-Uni berufen worden, nachdem ihm die Mediziner eine Professur verweigert hätten. Der Lehrstuhl, den Habermas innehabe, verkörpere laut Leuzinger-Bohleber eine "einzigartige aufklärerische Tradition", für die seinerzeit auch Mitscherlich gestanden habe. So wie dieser das Wesen des Nationalsozialismus beleuchtet habe, so könnten Psychoanalytiker heute dabei helfen, das Entstehen von Verschwörungstheorien, Populismus und Fremdenhass zu erklären. Klaus Grabska, Vorsitzender der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft, fürchtet eine weitere "Marginalisierung" der Psychoanalyse im Fach Psychologie, was auch dem großen Interesse der Studenten an dieser Therapierichtung zuwiderlaufen würde.

Gegen diese Vorwürfe wehren sich Uni-Präsident Enrico Schleiff und Dekan Christian Fiebach. Sie sehen in der verfahrensoffenen Ausschreibung eine Konsequenz aus der Neuordnung des Studienfachs, die mit der Novelle des Psychotherapeutengesetzes 2019 nötig geworden sei. Der Frankfurter Masterstudiengang Klinische Psychologie und Psychotherapie endet nun mit einer Staatsprüfung und der Approbation, die Absolventen berechtigt, etwa in einer Klinik als Therapeut zu arbeiten. Nach einer Weiterbildung dürfen sie dann auch eine eigene Praxis führen. Aus der Reform ergibt sich, dass heilkundlichen Inhalten im Studium ein größeres Gewicht zukommt. Dabei müssen den Studenten nach Worten des Dekans die Grundlagen der vier sogenannten Richtlinienverfahren vermittelt werden, die von den Krankenkassen anerkannt werden: der Psychoanalyse, der Tiefenpsychologischen Therapie, der Systemischen Therapie und der Verhaltenstherapie.

Grundsätzlich müsse jeder Neuberufene diese vier Methoden lehren können, meint der Neuropsychologe Fiebach. "Durch die Festlegung auf ein bestimmtes Verfahren für eine Professur würden wir den Bewerberkreis einschränken." Der Fachbereich könne nicht garantieren, dass jede Therapiemethode "professoral abgebildet" werde. "Aber die Studierenden müssen in ihrer Ausbildung alle Verfahren kennenlernen und diese kritisch einschätzen können."

Nicht nur Habermas' Lehrstuhl soll in absehbarer Zeit neu besetzt werden. Fiebach zufolge will der Fachbereich in der Klinischen Psychologie drei Schwerpunkte schaffen, die jeweils von einer Professur repräsentiert werden sollen: Psychotherapieforschung inklusive Verfahrenslehre, Psychopathologie und Klinische Psychologie des fortgeschrittenen Alters. Die verfahrensoffene Ausschreibung dieser Professuren werde im Fachbereich "breit mitgetragen", sagt der Dekan.

Was die Studenten betrifft, so stimmt das nur bedingt. Terry Meyer von der Psychologie-Fachschaft erinnert daran, dass ein Teil von ihnen auf die Ankündigung der verfahrensoffenen Ausschreibung mit Protest reagiert habe. Es habe sich eine Initiative gebildet, deren Petition zugunsten der Psychoanalyse mehr als 9000 Unterstützer gefunden habe. Der Großteil der Studenten wünsche sich ebenfalls "Verfahrensvielfalt" und würde es gerne sehen, wenn von den drei Professuren je eine mit einem Vertreter der Psychodynamik oder Psychoanalyse, der Verhaltenstherapie respektive der Systemischen Therapie besetzt würde. "Die verfahrensoffene Ausschreibung findet also nur insofern unsere Zustimmung, als sie trotzdem Verfahrensvielfalt auf den Weg bringt", schreibt Meyer im Namen der Fachschaft. Er befürchtet allerdings, dass Spezialisten für Verhaltenstherapie im Auswahlprozess bevorzugt werden könnten, weil sie das "gängigere Modell" verträten, ihre Arbeiten daher öfter zitiert würden und sie mehr Forschungsgeld einwerben könnten.

Diese Sorge treibt auch Grabska und Leuzinger-Bohleber um. Das "scheinbar objektive Argument der Bestenauslese", das der verfahrensoffenen Ausschreibung zugrunde liege, diene in diesem Fall einer "vornehmen Verhüllung der Machtverhältnisse", schreibt die Professorin in ihrem Gastbeitrag. Tiefenpsychologen, Systemische Therapeuten, aber besonders Psychoanalytiker würden bei einem solchen Vorgehen "strukturell benachteiligt". Diese drei Verfahren seien aus der Freud'schen Aufklärungstradition hervorgegangen und verstünden seelisches Leid immer auch als ein "Leiden an der Gesellschaft". Vor allem die Psychoanalyse brauche "Zeit und Raum", um erfolgreich zu sein. Ihre nachhaltige Wirksamkeit sei aber durch Langzeitstudien belegt.

Auf die wissenschaftliche Evaluation der Psychoanalyse legt auch Dekan Fiebach Wert. Grundsätzlich wolle der Fachbereich "weg vom alten Schulenstreit". Wenn sich der Fachbereichsrat auf einen Ausschreibungstext verständigt habe, müssten noch das Uni-Präsidium und der Senat dazu Stellung nehmen. Im Februar könne dann die Ausschreibung veröffentlicht und bis 2023 ein Nachfolger von Habermas berufen werden. Fiebach und Schleiff sind überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein: "Wir wollen eine starke Psychologie in Frankfurt, und das erreichen wir durch Verfahrensoffenheit", meint der Präsident. "Wir bekennen uns zur Tradition der Psychoanalyse in Frankfurt. Wir leben diese Tradition nur modern und zukunftsgerichtet weiter." zos.

 

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