23. englischsprachige KtK

von DPG

23. englischsprachige KtK vom 11.-12.Juni 2021 – nicht London, aber Online

Die 23. englischsprachige kasuistisch-technische Konferenz musste in diesem Jahr aus Pandemiegründen online stattfinden, aber dank des intensiven organisatorischen und technischen Engagements durch Gisela Klinckwort und die AG Kasuistik hat sie stattgefunden! Und so wurde die Konferenz trotz fehlender persönlicher Präsenz zu einer faszinierenden, fachlich bereichernden und auch persönlich berührenden Erfahrung.

Den Anfang machte Monica Fritzsche mit einer Fallvorstellung, die von Fakhry Davids (Lehranalytiker der British Psychoanalytic Society, Mitglied der Tavistock Society of Psychotherapists) diskutiert wurde. Fakhry Davids ist uns vor allem durch seine Arbeiten zum Thema Rassismus und sein Buch ‚Innerer Rassismus‘ bekannt. In der Fallbesprechung wurde über ein Gefangensein im grandiosen Selbst und die Abwehr von Objektabhängigkeit und Verlassenheitsängsten sowie über die Bedeutung der Ausgeschlossenheit aus der elterlichen Beziehung gesprochen und Fakhry Davids erinnerte an die von Melanie Klein beschriebene, bedrohliche „combined parent figure“.

Anschließend gab Fakhry Davids Einblick in die Schlussphase einer langjährigen hochfrequenten Analyse, in der sich das Gefangensein in einer engen Mutterdyade wiederholte, mit dem Zwang, auch dem Analytiker gefallen zu müssen, vielleicht auf der Basis einer ödipalen Illusion. Erst als der Analytiker als ein authentisches Gegenüber erlebt wurde, konnte ein Verstehen dessen, was Übertragung bedeutet, entstehen. Und erst dann konnte der Schmerz über das Ende der Analyse zugelassen werden.

Am Samstagvormittag konfrontierte Rosine Perelberg (Lehranalytikerin und Präsidentin der Britischen Psychoanalytischen Gesellschaft, Gastprofessorin am University College in London) uns mit ihren psychoanalytischen Erfahrungen während der Pandemiezeit. Sie stellte uns unter dem Titel „The empty couch“ ihre Erfahrungen und Überlegungen zum Umgang mit dem analytischen Setting unter Pandemie-Bedingungen dar. Im Verlauf einer Analyse habe der Wechsel zu einem Setting am Telefon zu fast psychotischen Reaktionen und starken Fragmentierungsängsten als Reaktion auf die physische Abwesenheit der Analytikerin geführt. Es wurde angemerkt, welch große Bedeutung die Fahrt zu den Analysestunden haben kann. Der Verlust dieser konkreten Erfahrungen könne zu Verunsicherungen in der Beziehung zur Analytikerin beitragen. Es gehe um Leben und Tod im Sinne: Lebt meine Analytikerin noch? Besonders nach Stundenunterbrechungen könnten sich solche Beunruhigungen verstärken. Gleichzeitig könne der Raum während des Telefonierens zu einem Gefängnis werden, einem „Niemandsland“. Unsere Diskussion kreiste um die Fragen:  Wer ist mehr involviert in die bedrohliche Covid-Situation, der Patient oder die Analytikerin? So wie ein Kind Vorsicht walten lasse, die Mutter nicht zu zerstören, so zeige sich hier die Angst, durch das persönliche Kommen die Analytikerin infizieren zu können. Die klare Entscheidung der Analytikerin für das veränderte Setting kann wohl als quasi väterliche Position angesehen werden, die Sicherheit gibt. An einem Fallbeispiel zeigte Rosine Perelberg eindrucksvoll, wie wichtig es ist, bei fehlendem vertrauten Setting den analytischen Rahmen einzuhalten.

Zuvor hatte Thomas Litz eine Behandlung vorgestellt, deren Dynamik einerseits überwiegend Selbstablehnung und Traurigkeit ausstrahlte, zugleich schienen sich im Kontakt zum Analytiker auch Unbeirrbarkeit und Durchsetzungsfähigkeit zu zeigen. In den vorgestellten Sitzungen zeigte sich wie Schuldgefühle spürbar wurden und Ängste auftauchten, sobald der Kontakt zum Analytiker lebendiger wurde. Rosine Perelberg verband die beiden Falldarstellungen dieses Vormittags unter dem Aspekt des Gelingens von frühen Strukturierungen und der Bedeutung der Einhaltung des analytischen Rahmens.

Die abschließende Nachmittagssitzung wurde von Victor Sedlak (Lehranalytiker und Supervisor der Britischen Psychoanalytischen Gesellschaft) supervidiert. Aus seinen zahlreichen Veröffentlichungen sei seine Arbeit „Das normale und das pathologische Über-Ich des Analytikers“ erwähnt. Maja von Strempel stellte eine Behandlung vor, in der die Analytikerin mit intensiver projektiver Identifizierung zu tun hatte. In der Diskussion taucht das Bild des Sisyphos-Mythos auf, mit dem Unterton einer fast sadomasochistischen Lust, wie von Albert Camus beschrieben. Was gibt der Analytikerin Mut und Kraft, hier am Ball zu bleiben? Es sind wohl die Andeutungen von Wiedergutmachungsfantasien, die Zuversicht aufscheinen lassen.

Zum Schluss schilderte uns Victor Sedlak einen für den Analytiker überaus quälenden Behandlungsverlauf, in dem permanente Klagen über die Unzufriedenheit mit sich und anderen dominierten. Arbeiten von Michael Feldman und Betty Joseph zum Thema „grievance“ wurden erinnert. Das Gute werde zurückgewiesen, weil es fremd und unerträglich sei, stattdessen halte man sich an Eric Brenman's Gedanken: „You are never alone with a bad object.“  Erst wenn der Analytiker diese Hoffnungslosigkeit in seiner Gegenübertragung durcharbeite, könne in ihm ein Raum entstehen für „not knowing“.

Die Tagung endete mit einer Schlussrunde, in der die gute Diskussionsatmosphäre und die Bereicherung durch den Austausch mit den britischen KollegInnen hervorgehoben wurde.  Wir dankten dann Gisela Klinckwort und der AG Kausistik (Irene Bozetti, Jochen Haustein, Samuel Kenntner, Hanne Rink, Gudrun Wolber), insbesondere Samuel Kenntner auch für die gute technische Vorbereitung der Zoom-Konferenz. Die Online-Möglichkeit wurde als gute Alternative zur Präsenzkonferenz gewürdigt, aber es wurde die Hoffnung ausgesprochen, sich im nächsten Jahr wieder in London persönlich treffen zu können.

Martin Ehl, Würzburg, 6. Juli 2021

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