Ressentiment – Groll ohne Hoffnung

von DPG

Bericht über den Psychoanalytischen Salon Hamburg am 10.02.2025
(Moderation: Torsten Michels)

Psychoanalytiker, geladene Gäste und das Publikum kommen beim Salon zu aktuellen Themen der Zeit ins Gespräch. Im Focus diesmal: „Ressentiment“, eine weit verbreitete (aber weitgehend unbewußte) Haltung  und Motivation, die eine gewaltige Antriebskraft hinter scheinbar sinnlosem Haß sein kann. Bei dem in sich selbst kreisenden Groll tritt Wirklichkeit als Begründung in den Hintergrund und wird ersetzt durch einen verbitterten Blick auf das Andersartige. Einmal im Ressentiment verfangen, ist es schwer, wieder heraus zu finden.
Zu Gast war Frau Prof. Dr. Simone Dietz, Professorin für Praktische Philosophie an der Universität Düsseldorf. Sie unterschied zwischen Vorbehalten, Vorurteilen und Ressentiments. Vorbehalte könnten berechtigt und aus Klugheitsgründen sogar ausdrücklich angeraten sein. Vorurteile könnten uns und anderen zwar im Weg stehen, aber sie würden bei der Orientierung im Alltag helfen und seien in dieser Hinsicht vielleicht sogar unverzichtbar. Beim Ressentiment dagegen gehe es um eine sehr viel schwerer zu korrigierende, verhärtete Einstellung, eine Art Vergiftung, die sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft schädlich sei. Ressentiments seien nicht harmlos, obwohl sie verbreitet sein können.
Während Friedrich Nietzsche das Ressentiment als ein reaktives Gefühl, das sich immer
von unten nach oben richtet, beschreibe, fokussiere Max Scheler darauf, dass Ressentiments vor allem in einer Gesellschaft auftrete, in der rechtlicher Gleichheitsanspruch und faktische Ungleichheit zusammen kommen.
Eva Illouz bezeichne es als ein politisch destruktives, ein „undemokratisches Gefühl“, das sich aber gleichwohl auf demokratische Gleichheitsansprüche stütze.

Frau Dietz fragte: Wenn es so ist, dass Ressentiments vor allem in einer Gesellschaft auftrete, in der rechtlicher Gleichheitsanspruch und faktische Ungleichheit zusammen kommen, wo genau beginne dann die Differenz zwischen der legitimen Empörung gegen Ungerechtigkeit und dem vergiftenden
Ressentiment?
Wahlkampfzeiten seien so etwas wie die Aktionswochen des Ressentiments. Es sei zwar bekannt, dass Wahlkampf so sei (wir hätten uns mehr oder weniger daran gewöhnt), aber ob diese Rhetorik deshalb auch unschädlich sei? Sie fürchte: nicht.

Torsten Maul vertrat die psychoanalytische Perspektive und begann nicht mit naheliegenden Beispielen aus dem Wahlkampf, sondern zeigte mit drei individuellen Beispielen, wie unterschiedlich Ressentiment sein kann, und dass wir alle Ressentiments ausbilden können, (wenn wir in einen entsprechenden seelischen Zustand kommen).
Maßgeblich seien Ressentiments durch eine projektive Entlastung von unbewussten Phantasien - und den daraus folgenden inneren Spannungen gekennzeichnet. So können sie Teil eines Dialogs werden. Eine innere Spannung wird zu einem interpersonellen Problem und eskaliert, wenn darauf mit Gegenressentiment geantwortet wird. Anhand eines Therapiebeispieles zeigte Herr Maul, wie Ressentiments aufgelöst werden können: indem Projektionen vom Analytiker angenommen und die affektiven Inhalte „entgiftet zurückgegeben“ werden.
Im abschließenden Teil richtete sich sein Blick auf die Gesellschaft. Die politische Situation heute könne man so lesen, als würde sich der Westen in einer regressiven Bewegung befinden und hinter schon erreichte Standards zurückfallen: Nationalistische und faschistische Parteien werden gewählt, autoritäre Herrscher kommen an die Macht, Frauenrechte werden wieder eingeschränkt, Minderheiten vermehrt angegriffen, Ressentiments beherrschen die Diskurse, Hetze und Lügen verdrängen Fakten und Wahrhaftigkeit.

Als soziologischen Erklärungsversuch erläuterte er das Buch „Verlorenheit“ von Manfred Prisching. Die wachsende Verlorenheit der Menschen, die sich einer unregulierbaren Welt gegenüber klein und hilflos (also regressiv) fühlen, führe zu Verbitterung. Im Ressentiment würden sich Gemeinschaften bilden, in denen sich die Verlorenen nicht mehr ganz so verloren fühlen würden.
Das psychoanalytische Fazit: Ein gutes Gleichgewicht zwischen regressiven und progressiven Tendenzen zu behaupten, sei aufwändig für den Einzelnen und für die Gesellschaft.
Die Kultur müsse immer gegen das Triebhafte verteidigt werden, denn es sei gerade die Kultur (also Rechtsstaat mit Gewaltenteilung, reale Informationen, Minderheitenschutz, Gleichberechtigung, Bildung usw.),  die helfe, das Destruktive des Menschen zu begrenzen.
Weil sie die Welt als unverständlich und unbeherrschbar fragil erleben, so  Torsten Maul, würden die Menschen momentan regressiver reagieren - und die Verteidigung ihrer Kultur - gegen ihre eigenen triebhaften Wünsche gelinge schlechter. Spaltungen, Misstrauen und Neid würden sich zu Ressentiments sammeln und die reiferen Umgangsweisen verdrängen.
Das führe zu Eskalationen, die wiederum die Kultur bedrohen - und das könne in einen sogenannten Teufelskreis führen. Immer mehr ausagierte Destruktivität führe zu immer mehr Kulturverlust - führe zu immer mehr Destruktivität.
So eine Entwicklung könnte durch wertschätzendes Interesse, gemeinsame reflexive Bemühungen und durch Verantwortungsübernahme aufgehalten werden. Aber das sei nicht in Sicht in einer Zeit, in der allerorten Ressentiments geschürt und genutzt würden, statt zu versuchen, sie zu entgiften.
Im Wahlkampf sei dazu wieder einmal die Migrationsproblematik instrumentalisiert worden. Als Privatperson verstöre und langweile Herrn Maul das, und als Analytiker denke er: Ja, so ist es, die Vernunft ist eine schwache Kraft.
Dr. G. Fuchs

Danach gab es ein ca.50-minütiges anregendes Gespräch mit den Gästen.
Weil die Nachfrage größer war als der Raum Plätze bot, ist eine Wiederholungsveranstaltung in Planung. Frau Dr. Dietz hat dafür zugesagt.
In den eMail-Verteiler für die Ankündigung der Veranstaltungen können Sie sich unter www.torstenmaul.art eintragen.

Zur Veranstaltungsreihe:
Der Salon, bei dem Psychoanalytiker, geladene Gäste und das Publikum zu aktuellen Themen der Zeit ins Gespräch kommen, findet seit November 2015 in loser Folge statt.
Der Rahmen ist mit der Theaterbar Nachtasyl so gewählt, dass nicht nur das Fachpublikum angesprochen ist, sondern auch am Thema Interessierte. Das Publikum (ca. 130 Leute) ist dementsprechend heterogen, viele junge Leute, aber auch Kollegen und andere.
Uns ist wichtig, dass wir nicht primär Psychoanalyse erklären, sondern aus psychoanalytischer Perspektive Überlegungen zu aktuellen Themen vorstellen. Dabei achten wir auf Verständlichkeit und Unterhaltsamkeit unserer Beiträge, damit sich das Publikum danach auch traut, Gedanken mitzuteilen.
Mit ursächlich für den erstaunlichen Erfolg der Veranstaltungsreihe ist auch, dass wir einen Gast einladen, der/die sich aus der Perspektive einer anderen Profession zum Thema äußert. Unsere Statements sollen je ca. 20 Minuten dauern, danach sprechen wir  ca. 45 Min. mit dem Publikum. Das geht natürlich unterschiedlich gut, aber das Publikum ist immer freundlich und meistens auch sehr klug. Die Abende sind durchaus kurzweilig, fröhlich und anregend.
Je nach Thema der Veranstaltung beginnen wir jeweils mit LiveMusik oder singen mit dem Publikum.
Die Veranstaltungen waren alle übervoll und wurden, weil wir immer Interessenten abweisen mussten, in der Regel wiederholt.

Themen und Gäste waren bisher:

"Warum Krieg“
Gast: Hannes Heer (Historiker)
„Radikalisierung“
Gäste: Kurt Edler (Dt. Ges. f. Demokratiepädagogik), Philip Al-kazan (Lehrbeauftragter)
„Rache“
Gast: Ulrich Hentschel (Theologe)
„Befriedigendes Leben?! Erkundungen aus den Perspektiven dreier Generationen“
Gäste: Theresa Grziwok (Studentin), Wulf-Volker Lindner (Theologe/Psychoanalytiker)
„Neue/Soziale Medien“ Was macht digitale Kommunikation mit der Psyche?
Gast: Matthias Ernst (Politologe)
"Neid, die aufrichtigste Form der Anerkennung“
Gäste: Prof. Dr. Sighard Neckel (Soziologe), Eckehard Pioch (Psychoanalytiker)
„Lüge“ Die ganze Wahrheit ist, gelogen wird immer!
Gast Prof. Dr. Simone Dietz (Philosophin)
„Was Sie schon immer über Psychoanalyse wissen wollten, aber nie zu fragen wagten“
Gast: Klaus Grabska (Psychoanalytiker)
"Massenpsychologie“
Gast: Prof. Dr. Simone Dietz (Philosophin)
„VERTRAUEN. ODER?“
Gast: Prof. Dr. Simone Dietz (Philosophin)
„Dummheit“
Gast: Prim. Dr. Heidi Kastner (forensische Psychiaterin)
„Heimat“
Gast: Prof. Dr. Habbo Knoch (Historiker)
„Ressentiment“
Gast: Prof. Dr. Simone Dietz (Philosophin)

Der Psychoanalytische Salon Hamburg wird verantwortlich von Torsten Maul und Torsten Michels gestaltet.

Gerhard Fuchs, Hamburg, 11.2.2025

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