Zum Tod von Irma Brenman Pick

von DPG

Verankert in der Kleinianischen Schule hatte sie doch ihre besondere Behandlungstechnik vermittelt, die der Gegenübertragung spezielle Beachtung schenkt und das Arbeiten mit „beiden Händen“ betont: Eine „Hand“ sollte den Patienten bzw. die Patientin mit seinen/ihren destruktiven Anteilen konfrontieren; die andere „Hand“ sollte jedoch ein Containment der mitunter unaushaltbaren Gefühle in der Behandlung anbieten. Sie hat mit diesem Ansatz viele Kolleginnen und Kollegen beeinflusst. Oft war sie in Deutschland an Instituten der DPG zu Workshops und Supervision eingeladen.

2015 hat sie auf der DPG-Jahrestagung einen Hauptvortrag mit dem Titel „Taumeln zwischen Sehnsucht und Zerstörung“ gehalten.

Es hat Irma gefreut, die Veröffentlichung der Deutschen Übersetzung ihres Buches „Authentizität in der psychoanalytischen Begegnung“ erleben zu können. Das Psychoanalytische Institut Berlin (PaIB) organisierte eine Buch-Präsentation sowie einen kasuistischen Workshop (gemeinsam mit Joshua Durban), was wegen der seinerzeit geltenden Corona-bedingten Einschränkungen nur online möglich war. Allerdings konnten so Teilnehmer aus ganz Deutschland daran teilnehmen.

Wer Irma gekannt hat, wird sich nicht nur an ihre Weisheit und ihre herausragenden psychoanalytischen Fähigkeiten erinnern, sondern auch an ihren verschmitzten Humor. Wir werden Irma Brenman Pick ein ehrendes Andenken bewahren.

Eckehard Pioch

-------------------------------------------------------------------------------------

Ein Nachruf von Christine Glombitza, Berlin

Irma Brenman Pick, die große Dame der kleinianischen Psychoanalyse ist tot. Sie starb am 3. August im Alter von 89 Jahren in ihrem Haus in London. 

Sie war Distinguished Fellow der British Psychoanalytical Society, dort auch Supervisorin und Lehranalytikerin. Neben ihren verschiedenen Funktionen in der BPS und der IPV war sie als Lehrerin und Supervisorin in vielen Ländern und Kontinenten tätig und dabei für sehr viele KollegInnen in ihrer Entwicklung und Arbeit als Analytiker von enormer Bedeutung.

Bis kurz vor ihrem Tod war Irma als Supervisorin aktiv, dabei aber immer auch mit der schmerzhaft realistischen Frage beschäftigt, ob sie noch etwas zu geben habe, und freute sich natürlich, wenn dies der Fall gewesen war. Körperlich zwar immer fragiler werdend, konnte sie sich aber auf ihre bemerkenswerte Fähigkeit verlassen, die zentralen unbewussten Prozesse und gegenseitigen Verwicklungen des analytischen Paares zu erfassen, diese direkt und in einfachen Worten zu vermitteln, ohne jedoch zu simplifizieren.

Bis zu ihrem Tod machten sie ihr waches Interesse am Gegenüber, ihr Mitgefühl, ihre feine klinische Intuition und ihr kreativer und unmittelbarer Zugang zu klinischem Material zu der ungemein geschätzten und einflussreichen Lehrerin, die Irma war. 

Viele von uns werden sich sicherlich an Irmas leidenschaftliche Lebendigkeit erinnern, sei es bei ihrer langjährigen Teilnahme an den kasuistisch-technischen Konferenzen in London, bei Kongressen oder bei Einladungen zu kasuistischen Seminaren in den verschiedensten Instituten. 

Wir hatten dabei die Möglichkeit, sowohl ihre klinische Präsenz unmittelbar zu erleben als auch ihre Fähigkeit, analytische Theorie klinisch lebendig werden zu lassen, wie Fakhry Davids und Naomi Shavit im Vorwort zu Irmas gesammelten Aufsätzen schrieben. Irma verkörperte, als wesentliches Element ihres analytischen Zugangs, eine Haltung von unmittelbarem Interesse am jeweiligen Gegenüber, das getragen war vom Mitgefühl für die Schwierigkeiten, mit denen das Gegenüber (und wir alle) zu kämpfen hat und von ihrer Bereitschaft, sich in dieses Gegenüber einzufühlen. Ihre Genauigkeit und direkte Ehrlichkeit, sowohl beim Hinfühlen als auch beim kreativen Nachdenken über die Bedeutung und Auswirkungen von Projektionen im Analytiker, gehörten zu Irmas großen Stärken.

Ich erinnere mich sehr genau daran, wie beeindruckt und unmittelbar berührt ich war, als ich Irma vor fast 20 Jahren bei einer kasuistischen Konferenz in London erstmals erlebte. Ihre klinische Intuition und ihre gleichermaßen freundlich humorvolle wie direkte Art zu sprechen verblüfften mich damals ungemein und hinterließen einen tiefgehenden Eindruck bei mir. 

An anderer Stelle hatte ich Irma später als „liebend nüchtern“ charakterisiert und dabei ihre Haltung von liebe- und humorvollem Realismus zu fassen versucht, ihre Fähigkeit nämlich zu lieben und sich lieben zu lassen ohne dabei den Realismus – den „Kopf“ zu verlieren. 

Irma wurde 1934 als drittes Kind jüdischer Emigranten aus Lettland in Pretoria geboren. Sie wuchs in einer „jüdischen Bubble“, wie sie es nannte, auf, in der über Apartheit und die Politik von Südafrika nicht viel nachgedacht wurde. Ihr Vater arbeitete in einer Möbelfabrik, er starb früh, als Irma 12 Jahre alt war. Ihre Mutter wurde eine erfolgreiche Geschäftsfrau und gründete eine Schule für Sekretärinnen. 

17-jährig begann Irma ihr Studium an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität von Witwatersrand in Johannesburg. Kopfschüttelnd erzählte sie, dass sie dort erstmals eine multiethnische Gemeinschaft und politische Auseinandersetzungen erlebte und ihren eigenen eingeengten Horizont wahrnahm, der sich schnell weitete. In dieser Zeit, auch durch ihren späteren Ehemann Abe Pick angeregt, fand sie Zugang zur Psychoanalyse. Aber auch gesellschaftliche, soziale und politische Bedingungen blieben für Irma fortan immer auch ein wesentlicher, mitzudenkender Faktor. Sie war der Bubble entwachsen, gleichsam aufgewacht, und fortan gegenüber allen Formen von Engherzigkeit und Engstirnigkeit besonders aufmerksam. 

1955 wanderten Irma und Abe nach London aus, wo er seine psychoanalytische Ausbildung begann und abschloss. Irma, noch zu jung, absolvierte bis 1960 zunächst die kindertherapeutische Ausbildung an der Tavistock Clinic und qualifizierte sich später im Institute of Psychoanalysis zur Analytikerin für Kinder und Erwachsene. 

Viele bedeutende Analytiker waren ihre Lehrer: Esther Bick, Wilfred Bion, Paula Heimann, Betty Joseph, Herbert Rosenfeld und Hanna Segal; Hans Thorner, der 1933 aus Deutschland nach London emigriert war, wurde ihr Lehranalytiker.

1960 wurde Daniel geboren. Diesem großen Glück folgte jedoch ein schwerer Schicksalsschlag: 1961 starb ihr Mann nach kurzer Krankheit.

Irma betonte, welch tiefen Eindruck Thorner mit seiner Empathie und seinem Mitgefühl, insbesondere nach dem frühen Tod von Abe, in ihr hinterließ. Ebenso machte Rosenfeld nachhaltigen Eindruck auf sie, als er sie in einer Supervision, kurz nach dem Tod ihres Mannes, sehr behutsam darauf hinwies, dass sie Phantasien des Patienten von ihrem schönen Wochenende mit ihrem Mann deuten müsse. Es sei für sie enorm wichtig gewesen, dass da jemand war, der beide Seiten des analytischen Paares im Blick hatte und der anerkannte, dass das, was von Patienten kommt, tatsächlich auch berührt, Auswirkungen auf uns hat. Wenn wir gestochen werden, bluten auch wir. 

Dieser geweitete Blick auf das analytische Paar, die Beschäftigung mit den wechselseitigen subtilen Beeinflussungen war etwas, dem Irma in ihrem analytischen Nachdenken und auch in ihren Aufsätzen ein Leben lang nachging. Ihre gesammelten Aufsätze, die immer reich an klinischem Material sind, geben Zeugnis davon. Fakhry Davids und Naomi Shavit brachten 2018 Irmas ausgewählte Schriften unter dem Titel „Authenticity in the Psychoanalytic Encounter“ bei Routledge heraus. Sehr zu Irmas Freude konnten Ulrike Guercke und ich die Übersetzung anstoßen. Die deutsche Ausgabe erschien 2021 im Psychosozial-Verlag.

Mit Mitte 30 wurde Irma Lehranalytikerin der BPS, war dort in diversen Gremien aktiv und von 1997-2000 Präsidentin der britischen Gesellschaft.

1975 heiratete sie ihren Kollegen Eric Brenman, er starb 2012. Sie führten eine lebendige, von gegenseitigem Respekt getragene, liebevolle und warme Beziehung, lehrten gemeinsam und regten einander in ihrem Nachdenken an. Humor, Genuss und Austausch mit anderen Menschen, den beide so liebten und brauchten, spielten eine große Rolle. Irmas Haus in Italien war der Ort, in den sie über die Jahre viele ihrer Freunde aus aller Welt einluden und in dem sie ihre Ferien verbrachten. 

Irma war eine Frau, die das Leben in all seinen Aspekten und bis zum Ende voll leben wollte und auch gelebt hat, die Reisen liebte und am kulturellen Leben, Theater, Musik, Literatur und Film wie auch an politischen Verhältnissen regen Anteil nahm. Ihr Lebenselixier aber war es, mit Menschen im Kontakt und Austausch zu sein. Sie war eine stolze Mutter und Großmutter, eine begnadete und großzügige Gastgeberin und liebte es, Menschen zusammenzubringen und miteinander zu verbinden. 

Wie sehr Irma mit Menschen verbunden war und wie viele Menschen sich mit Irma in Freundschaft, tiefer Zuneigung und Dankbarkeit verbunden fühlen, war bei Irmas Beerdigung sichtbar, die am 8. September im Golders Green Crematorium stattfand und online übertragen wurde.

In ihrer Rede bei der Beerdigung erzählte ihre Enkelin von einem Gespräch mit Irma bei ihrem Geburtstag im April. Sie sprachen miteinander über Irmas Beerdigung. „Es ist traurig, über deine Beerdigung zu sprechen“, habe sie gesagt. „Gut!“, war Irmas Antwort und beide hätten lachen müssen.

Ich persönlich bin traurig und vermisse sie sehr als gleichermaßen geduldige wie fordernde Lehrerin und als Freundin, mit der es immer ein großes Vergnügen war, Zeit zu verbringen. Gleichzeitig bin ich für die Zeit, die ich mit ihr hatte, froh und dankbar. Und ich weiß, dass diese Gefühle von sehr vielen Menschen geteilt werden, dass viele traurig über ihren Tod sind und froh, mit ihr verbunden gewesen zu sein.

Zurück