EPCUS

Heribert Blass, Düsseldorf, Vizepräsident der EPF (Europäische Psychoanalytische Föderation) sowie Mitgründer- und Organisator der ersten Psychoanalytischen Konferenz für Universitätsstudenten (EPCUS) im EPF Haus, Rue Gerard 35, Brüssel, Belgien, schreibt:

Die Zukunft der Psychoanalyse als Wissenschaft und anerkannte Therapieform hängt in hohem Maße davon ab, inwieweit sie an den Universitäten präsent bleiben und der wissenschaftlich-therapeutische Nachwuchs einen nicht nur oberflächlichen Zugang zu ihr finden kann. Europaweit hat die Psychoanalyse aktuell einen schweren Stand an den Hochschulen. Aus diesem Grund haben während der vergangenen Jahre mehrere psychoanalytische Gesellschaften in verschiedenen europäischen Ländern Sommerschulen bzw. Sommeruniversitäten ins Leben gerufen, die interessierten Studierenden einen entsprechenden Zugang zur Psychoanalyse ermöglichen. Diese teilweise bis zu einwöchigen Studentenkonferenzen stoßen meist auf ein erfreuliches Interesse. 

Vom 6.-8. Oktober 2016 bot nun erstmals die Europäische Psychoanalytische Föderation (EPF) als Dachverband aller europäischen psychoanalytischen Gesellschaften Studierenden aus ganz Europa die Chance, die nationalen Grenzen zu überwinden und eine internationale psychoanalytische Konferenz eigens für Studierende zu besuchen. Die Tagung fand unter dem Titel: „1st European Psychoanalytic Conference for University Students (EPCUS)” im EPF-Haus in Brüssel mit Englisch als Konferenzsprache statt.

Die Idee zu dieser Konferenz ging auf den früheren EPF-Vorstand mit Serge Frisch als Präsident zurück. Geplant und realisiert wurde sie von Alex Janssen (Niederlande), Jasminka Suljagic (Serbien), Ekaterina Kalmykova (Russland), Martin Teising und Heribert Blass (Deutschland). Eine große organisatorische Unterstützung und Arbeit leistete der Sekretär des EPF-Vorstands, Frank Goderniaux.

Die Planungsgruppe hatte ein dreitägiges Programm entworfen und einen entsprechenden Flyer an alle Präsidenten der europäischen Gesellschaften sowie an viele europäische Hochschulen verschickt. Obwohl wir ein nach unserer Meinung attraktives Programm zusammengestellt hatten, waren wir angesichts der Reisewege und Kosten jedoch unsicher, wie viele Studierende unserer Einladung letztlich folgen würden. Um den Entschluss zur Teilnahme zu erleichtern, betrug die Teilnahmegebühr nur € 35,--. 

Das Tagungsprogramm zielte darauf ab, Studierenden einen lebendigen Eindruck von verschiedenen Strömungen innerhalb der psychoanalytischen Theorie und Praxis zu vermitteln. Erfreulicherweise hatten sich mehrere Kolleginnen und Kollegen aus ganz Europa bereit erklärt, an dem Projekt engagiert mitzuwirken. 

Das Tagungsprogramm konnte entsprechend vielfältig gestaltet werden: 

Am Donnerstag, den 6.10.2016, eröffneten Alex Janssen (Niederlande) und Heribert Blass (Deutschland) die Tagung. Anschließend sprach Serge Frisch (Niederlande) über die „Anpassung des psychoanalytischen Rahmens an verschiedene klinische Settings.“ Er schilderte dabei, wie er als Jugendlicher zur Psychoanalyse gefunden hatte und wie er seine psychoanalytische Haltung in verschiedenen klinischen Settings weiterentwickelt hat. Es folgte ein Willkommensempfang am Abend.

Am Freitag, den 7.10.2016, gab es folgende Vorträge:

Marc Hebbrecht (Belgien): „ Der Traum in der gegenwärtigen Psychoanalyse.“ Hebbrecht gab einen anschaulichen Überblick über die Entwicklung psychoanalytischer Auffassungen über den Traum, beginnend mit Freuds Traumdeutung bis hin zu heutigen Konzepten über den Traum. 

Katy Bogliatto (Belgien): „Gibt es ein Baby? Über die ersten Beziehungen zwischen einem Baby und seinen Eltern.“ Bogliatto zeigte den Studierenden in verschiedenen klinischen Beispielen, dass es im Sinne Winnicotts kein Baby ohne Mutter/Vater gibt, und wie sehr frühe Bindungen entscheidend für die Zukunft des Babys sind. 

Igor Kadyrov (Russland): „Seelisches Trauma: Ein ‚unauffälliges’ Konzept. Einige Reflexionen über das Konzept und seinen klinischen Gebrauch in der Kleinianischen Tradition.“ Kadyrov sprach nicht nur über ein Kleinianisches Verständnis, sondern er gab auch einen historischen Überblick über verschiedene Traumakonzepte. 

Alberto Luchetti (Italien): „Grundlagen der klinischen Situation und die Quellen der künstlerischen Arbeit.“  Luchetti eröffnete den Studenten eine breitere, kulturelle Dimension der Psychoanalyse.

Am Abend stellte Andrea Sabbadini (Großbritannien) den Film „Her“ von Spike Jonze, USA 2013, vor. Auf humorvolle und zugleich nachdenklich machende Weise zeigt der Film, wie sich ein Mann in die weibliche Stimme eines Computerbetriebssystems verliebt. Für die Studierenden, die ja überwiegend „digital natives“ sind, war hier u.a. ein psychoanalytischer Blick auf die moderne Kommunikationstechnologie interessant. 

Am Samstag, den 8.10.2016 folgten weitere Vorträge von:

Suzanne Lunn (Dänemark): “Essstörungen: verschiedene klinische Syndrome und verschiedene psychoanalytische Verständniszugänge.“ Lunn konnte vermittels klinischer Vignetten zeigen, auf welche Weise Psychoanalyse individuelle Veränderungsprozesse in Gang setzen kann.

Lisa Kallenbach (Deutschland): „Pluralistische Zugänge zu Studie und Ergebnis in der Psychoanalyse. Die LAC Depressionsstudie: ein gutes Beispiel dafür.“ Dieser Vortrag fügte sich sehr gut an den vorherigen an, weil Kallenbach die individuelle Sphäre um eine allgemeine und wissenschaftliche Dimension erweitern konnte, was auf großes Interesse der Studierenden stieß. 

Marcel Schmeets (Niederlande): „Zwischen Psychoanalyse und Neurowissenschaft: spricht etwas für Neuropsychoanalyse?“Schmeets stellte in seinem Vortrag Verbindungen zwischen klassischen psychoanalytischen Konzepten und aktuellen neurowissenschaftlichen Forschungsergebnissen her.  

Das Abschlussplenum leiteten Alex Janssen (Niederlande) und Heribert Blass (Deutschland)

Nach jedem Vortrag gab es Zeit für Fragen und Diskussionen und außerdem fanden an jedem Tag Diskussionen in Kleingruppen statt. 

Nach unserer anfänglichen Ungewissheit werten wir es als erfreulichen Anfangserfolg, dass von den ursprünglich 84 Interessenten schließlich 54 Teilnehmer die Konferenz besuchten. Die meisten waren Studierende aus unterschiedlichen Ländern Europas, wie Belgien, Niederlande, Bulgarien, Russland, Serbien, Polen, Ungarn, Italien, Griechenland, Großbritannien, Österreich, Deutschland Die meisten von ihnen studierten Psychologie, einige Medizin, aber es gab auch einzelne Studierende von Philosophie, Sozialwissenschaften oder Biochemie. Außerdem besuchten vier ältere Teilnehmer die Konferenz, weil sie sich als Philosoph, Psychiater oder Psychologin für Psychoanalyse interessierten

Die Atmosphäre war vom Interesse und der lebhaften Beteiligung der Studenten ebenso geprägt wie von der Offenheit und Gesprächsbereitschaft der vortragenden Analytiker. Die mündlichen und schriftlichen Rückmeldungen der Studenten waren deutlich positiv. Sie betonten, dass vor allem die persönliche Begegnung mit Psychoanalytikern und die Gelegenheit zum Einblick in deren klinische Arbeit einen ganz anderen Blick auf Psychoanalyse ermöglicht hätten, als es an den Universitäten vermittelt werde. Viele äußerten auch den Wunsch, sich weiter mit Psychoanalyse beschäftigen zu wollen. Natürlich gab es auch einige kritische Nachfragen. Sie betrafen vor allem den wissenschaftlichen Status und die Behandlungsergebnisse von Psychoanalyse. Viele dieser Fragen konnten insbesondere in den klinischen Schwerpunktvorträgen, wie z.B. über Essstörungen oder die Mutter-Kind-Beziehung, und im Vortrag über die LAC-Depressionsstudie gut diskutiert werden.   

Am Ende der Tagung entschlossen sich einige Studenten zur Gründung einer geschlossenen Facebook-Gruppe mit dem Ziel, weitere Studierende auf die Tagung aufmerksam zu machen und für eine nächste Tagung zu interessieren. Überhaupt wünschten sich nahezu alle Teilnehmer eine Fortführung dieser Konferenz und ihres Formats. Da auch alle Mitglieder des EPF-Organisationsteams diese Konferenz als Erfolg betrachten, möchten wir an dieses erfreuliche Ergebnis anknüpfen und planen  eine weitere, 2. EPCUS-Konferenz für Oktober 2017, erneut im EPF-Haus in Brüssel.

Dr. med. Heribert Blass
EPF-Vizepräsident
Neubrückstr. 4
40213 Düsseldorf