Die Lange Nacht der Psychoanalyse in Berlin:
Rückblick und Aussichten

Im Verlauf von wenigen Jahren sind bundesweit unterschiedliche Outreach-Projekte entstanden, durch die wir Analytiker und Analytikerinnen versuchen, die Psychoanalyse in der Welt außerhalb unserer Wissenschaft und unserer Behandlungsräume für ein breites Publikum nutz- und erfahrbar werden zu lassen. Freuds Bar in München oder der psychoanalytische Salon in Hamburg gehören beispielhaft genannt dazu, ebenso die vielerorts stattfindenden Initiativen zur psychoanalytischen Filmbetrachtung.

Das Berliner Projekt der Teilnahme an der Langen Nacht der Wissenschaften Berlin/Brandenburg (LN) startete 2013 und hat inzwischen – im Juni diesen Jahres - den vierten Durchlauf vollzogen. Bereits im ersten Veranstaltungsjahr konnten wir eine organisatorische Allianz mit der International Psychoanalytic University (IPU) eingehen, die es uns seitdem ermöglicht, nicht nur die technisch gut ausgestatteten universitären Räume, sondern auch ihre personelle und logistische Struktur mit zu nutzen. Eine Kooperation, die sich in gegenseitigem Profit über die Jahre bestens entwickelt hat. 

Die Berliner DPG-Institute sind im Zusammenschluss der acht Berliner psychoanalytischen DGPT- und VAKJP-Institute - diese Artikulationsgymnastik muss sein – an der Organisation der LN beteiligt, für die jedes Institut eigene Mitglieder delegiert. So ist in diesem Verbund der „BerlinerPsychoanalytischenInstitute“, wie wir uns nennen, eine breite Mischung an Anwendungen psychoanalytischer Theorien repräsentiert. Einzel- und Gruppenanalytiker, Kinder- und Jugendlichentherapeutinnen, Jungianer, Adlerianerinnen, Freudianer der unterschiedlichen Stammeskulturen, DPG und DPV-Kolleginnen, Ost- und West-Institute treffen aufeinander.

Was bringt 20-30 Analytikerinnen und Analytiker dazu, sich regelmäßig am Abend zu Arbeitssitzungen in der Hauptstraße in Schöneberg einzufinden, wohlversorgt mit Obst und Knabbereien, wie es sich für eine weibliche dominierte Zusammenkunft gehört?

In Berlin blicken wir zurück auf eine Geschichte von Spaltungen, Verlusten und Unüberbrückbarkeiten. Was uns trennt ist erheblich. Und dennoch finden wir in pragmatischem Pluralismus zu einander und es gelingt uns, Aspekte der Konkurrenz oder Differenzen über Ausbildungsordnungen und –praxis auszuklammern. Im Angewiesensein auf einen reibungsarmen common ground mag Konsenssuche dazu führen, dass Felder von Unschärfe zwischen unseren unterschiedlichen Schulen und inhaltlichen Positionen entstehen. Und so wohltuend es ist, in der Zusammenarbeit am Projekt der LN zusammenzurücken und ein wenig von unserem „Stallgeruch“ loszuwerden, so sehr schätzen wir dennoch unsere Vielfalt, so dass es uns an anderer Stelle, in der Arbeit mit Sachthemen in Gremien, inzwischen angstfreier gelingt, in konturierte, abgegrenzte Auseinandersetzung zu gehen.

Mit der LN treten wir aus unseren Behandlungsräumen, aus unseren Instituten, aus dem anstrengenden Ringen um eigene Positionierung und narzisstisches (Über-)leben in der Vielfalt psychoanalytischer Theoriebildung und Fachgesellschaften, aus einengenden Elfenbeintürmen und Zuständen der Selbstreferenz hinaus auf den Boulevard – „shrinks go public“. Wir gehen auf Nachbarwissenschaften zu, suchen nach erfrischenden Formen des Dialogs, disziplinieren uns im Gebrauch der Sprache (was schwer fällt) und versuchen neue Veranstaltungsformate zu entwickeln. Wir arbeiten mit Vortrags-Raumkonzepten: unter plakativen Raumbezeichnungen wie „Denk-Raum“ oder „Fühl-Bar“ bündeln wir thematisch oder konzeptionell ähnliche Veranstaltungen. Auch gestalterisch versuchen wir, die technisch nüchtern ausgestatteten Seminarräume mit bescheidenen Dekorationsmaßnahmen in warmes Licht und Leben zu hüllen. In jedem der so entstehenden Veranstaltungsorte werden die Besucher durch „Raumpaten“ empfangen, die einführen, moderieren, Diskussionen leiten und zwischen den aufeinanderfolgenden Themen / Sichtweisen / Diskussionsprozessen vermitteln. Wir schaffen so Orte und Zeit-Räume, in denen die Inhalte der unübersichtlichen, sich schnell verändernden, bedrohlichen Welt sedimentieren können. 

Unsere Besucher begegnen der Psa nicht aus der Position des Patienten. Und wir Analytikerinnen treffen während der LN auf ein eifriges, wissbegieriges, interessiert und interessantes Publikum, das gut vorinformiert und pünktlich zur ersten Veranstaltung eintrifft und in einer erstaunlichen Raumtreue auch mehrere der einstündigen Angebote aktiv verfolgt und mitgestaltet. So entstehen häufig konzentrierte und rege Diskussionen und bisweilen auch diese dichten Momente, in denen die Kraft der Psychoanalyse allen deutlich spürbar wird. 

Es erstaunt uns immer wieder, wie stark und aus welch unterschiedlichen Fachgebieten heraus unser Publikum bereits mit der Psychoanalyse verbunden ist und welch breite Basis an gesellschaftlichem Interesse besteht. Auch unsere Angebote für Kinder und Jugendliche werden über die Jahre zunehmend aufgesucht, und wir planen, für diese Besuchergruppe erweiterte Angebote zu schaffen.

Mit unseren Erfahrungen möchten wir Initiativen andernorts ermutigen.

Rahmendaten LN 2017:

– 44 unterschiedliche Veranstaltungsangebote im Stundentakt zwischen 17 und 24 Uhr

– in acht Themenräumen sowie einem, stündlich abwechselnd mit der IPU genutzten großen Vortragsraum

– mit 2149 offiziell gezählten Besucherinnen und Besuchern

 

Helga Becker und Paola Acquarone