Über die Lüge

Im „Psychoanalytische Salon Hamburg“ wollen Psychoanalytiker, geladene Gäste und das Publikum über aktuelle gesellschaftliche Themen in ein förderliches Gespräch kommen. Die immer überfüllten Veranstaltungen zeigen, dass das Konzept aufgeht: ein Psychoanalytiker und ein Vertreter eines anderen Fachs sind aufgefordert, ihre Statements so vorzutragen, dass auch komplexe Zusammenhänge gut verständlich werden.

Die Veranstaltung zum Thema LÜGE fand am 19. Februar 2019 statt und war wieder sehr anregend. Auf der Bühne die Philosophin Prof. Simone Dietz und der Psychoanalytiker Torsten Maul, der auch durch den Abend führte.
Es wurde problematisiert, dass im Alltag viele nicht an Wahrheit und Wahrhaftigkeit interessiert scheinen, sondern nur das suchen, was zu ihren Überzeugungen passt. Auch Gruppen gründen ihren Zusammenhalt oft auf irrwitzigen Annahmen, weil es beruhigt, eine Ansicht zu teilen. Kleine Lügen gehören zum alltäglichen Miteinander, die höflichen Umgangsformen könnte man als eine institutionalisierte Form der Unaufrichtigkeit auffassen, und das was uns an unseren Mitmenschen stört, anödet oder nervt, behalten wir auch oft für uns. Denn immer die Wahrheit zu sagen kommt nicht immer gut an. Was zu der Frage führte, ob die Gesellschaft nicht sogar Verstellung - also Lüge - verlangt. Weil man sich an Rollenvorgaben anpassen muss, wenn man dabei sein will, und diese Anpassung mit Wahrhaftigkeit nicht immer zu machen ist. Ist Lügen also ein wesentlicher, die Gemeinschaft stabilisierender Faktor?

Frau Dietz (u.a. Autorin des Buches „Die Kunst des Lügens“) differenzierte, dass die Lügen defensiv oder offensiv sein können und auf den Schutz oder das Wohl entweder des Lügners, oder des Belogenen oder Dritter ausgerichtet sein können, es also auf die Absicht ankommt.
 Mit dieser Einteilung unterschied sie verschiedene Typen von Lügen. Sie machte deutlich, dass das Lügen vor allem die Beziehung angreift, Distanz schafft und Nähe zerstört. Sie legte dar, wie Wahrheitsfindung durch Lüge im politischen Raum bedroht ist und beschrieb Folgen von gezielter Desinformation sowie Folgen einer Strategie, mit der dem Gegner wissentlich Lügen unterstellt werden, die aber keine sind, -ein „lügender Lügenvorwurf“. Fazit: Es gebe etwas zu verteidigen gegen diese Strategien der Lüge - z.B. Räume wie diesen Salon, in denen man sich gemeinsam über eine Situationsdeutung verständigt und Kritik und Begründung übt.

Torsten Maul eröffnete die psychoanalytische Perspektive mit der Unterscheidung von bewusster Lüge und unbewussten inneren Prozessen, die zur Selbsttäuschung führen.
 Für die Psychoanalyse ist die innere (psychische) Realität des Analysanden mit den unbewussten Bedeutungen und wichtiger als die äußere Realität (in der es um Wahrheit oder Lüge gehen kann). Psychoanalyse sucht die Verzerrungen der Wahrnehmung und der Mitteilungen zu verstehen. Zwei kleine Fallvignetten illustrierten das. Neben der Frage, inwieweit bewusste chronische Lügner überhaupt psychotherapeutisch behandelt werden können, wurde die Frage erörtert, ob Therapeuten nicht auch ständig „lügen“, weil sie einen strategischen Umgang mit der Wahrheit pflegen.
 Die anschließende Diskussion mit dem Publikum war lebhaft, bunt und fröhlich.

Der Salon zum Thema Lüge wird am 23. Mai 2019 wiederholt.

Torsten Maul