Am 20. 05 2018 ist Dieter Schnebel im Alter von 88 Jahren gestorben. Dies ist eine schmerzliche und traurige Nachricht.
Viele werden sich noch an die Verleihung des Sigmund-Freud-Kulturpreises 2011 in Hannover an ihn als jemanden erinnern, für den die Psychoanalyse eine bedeutende Inspirationsquelle für sein kompositorisches Werk darstellte.
Ich weiß noch, wie ein Jahr vorher 2010 im Rahmen der Berliner Jahrestagung seine "Maulwerke" von den Maulwerkern aufgeführt wurden und eine beeindruckende Musikinszenierung das Klangspektrum unserer Ohren auf irritierend schöne, auch verstörende, aber doch auch wieder angenehme Weise erweiterte.
Johannes Picht, Herausgeber der Psyche und Laudator bei der damaligen Verleihung des Sigmund-Freud-Kulturpreises, hat anlässlich seines Todes eine persönliche Würdigung des Werkes von Dieter Schnebel verfasst, die ich allen gerne zu kommen lassen möchte:
"Der aus Lahr/Schwarzwald gebürtige Dieter Schnebel studierte Musik, Musikwissenschaft und evangelische Theologie in Freiburg und Tübingen. Während er anschließend als Pfarrer und Religionslehrer in Kaiserslautern, Frankfurt und München arbeitete, machte er sich zugleich einen Namen als einer der profiliertesten Avantgarde-Komponisten, aber auch als Theoretiker der Neuen Musik. Ab 1976 wirkte er als Professor für Experimentelle Musik an der Hochschule der Künste (heute Universität der Künste) Berlin. Für sein Werk erhielt er national wie international viele namhafte Auszeichnungen.
Ein Ethos der Freisetzung, der Öffnung und Grenzüberschreitung prägt Schnebels Werk, das er immer auch politisch verstand; zugleich hat er sich immer sehr bewusst auf die Tradition bezogen. Geradezu enzyklopädisch hat er etwa die musikalische Potenzialität von Sprache und die Ausdrucksmöglichkeiten der menschlichen Stimme bis an den Rand des Möglichen exploriert und ausgeschöpft. Das Spektrum des Musikalischen erweitert sich bei ihm über das Hörbare hinaus auf das Sichtbare, das Gestische, den Raum und die Inszenierung, schließlich auf die sozialen Bezüge zwischen den Beteiligten und auf die seelischen Abläufe beim Musizieren. Dabei hat er sich über weite Strecken von der Psychoanalyse begleiten und inspirieren lassen, mit der er den Befreiungs- und den Erkenntniswunsch gleichermaßen teilte. 2007 hielt er im Rahmenprogramm des Berliner IPA-Kongresses einen Vortrag über Beethovens letztes Streichquartett; für diesen Kongress hatte er eine eigene Komposition „Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten“ geschrieben. 2012 war er zu Gast auf der DPV-Frühjahrstagung in Berlin, dort wurde sein Werk „Maulwerke“ von 1968 aufgeführt, und er stand für ein Podiumsgespräch zur Verfügung.
Künstlerisch in vieler Hinsicht radikal und extrem, war Schnebel persönlich ein außerordentlich freundlicher und gemütvoller Mensch, der sich gern mit Freunden umgab und selber kochte. Noch im hohen Alter mochte er die Grenzen des Lebens nicht als Einschränkungen gelten lassen, brach zu neuen Ufern auf und unternahm weite Reisen. Gleichwohl hatte ihn der Tod immer begleitet. Wir betrauern den Verlust eines Künstlers und Theologen, für den die Kraft des Lebens vom Neuen selbst ausging."
Für diejenigen, die sich weitergehend für Dieter Schnebel und seine Beziehung zur Psychoanalyse interessieren, möchte ich auf den Aufsatz von Johannes Picht "Dieter Schnebel und die Psychoanalyse" hinweisen, der in der Zeitschrift "Musik & Ästhetik" (2012, Heft 62, S. 5-17) erschienen ist.
Im Andenken an einen bedeutenden Menschen,
Ihr bzw. Euer
Klaus Grabska