GESPRÄCH MIT ROTRAUT DE CLERCK

Vor 75 Jahren, am 28. März 1941, nahm sich Virginia Woolf in England das Leben. Die Psychoanalytikerin Rotraut De Clerck hat sich mit Leben und Werk der Autorin auseinandergesetzt. Andrea Pollmeier hat mit Rotraut De Clerck über die Rolle der Psychoanalyse in Virginia Woolfs Schaffen und über den heutigen Stellenwert der Schriften Sigmund Freuds gesprochen.

 

»Jede Krankheit ist etwas Individuelles«

 

Andrea Pollmeier: Virginia Woolf hat in ihrem Verlag als Erste gemeinsam mit ihrem Mann Leonard Woolf Sigmund Freuds Schriften zur Psychoanalyse auf Englisch veröffentlicht. Sie selbst war damals schon psychisch schwer erkrankt. Die Heilmethode der Psychoanalyse hätte ihr helfen können. Paradoxerweise lehnte sie eine entsprechende Behandlung jedoch ab. Warum?

Rotraut De Clerck: Zunächst ist es wichtig, die Zeitabläufe zu betrachten. Die schwersten Zusammenbrüche von Virginia Woolf gab es bereits in einer frühen Phase ihrer Schaffenszeit, also zwischen 1910 und 1915. Damals versiegte jede Produktivität. In dieser Zeit war die Psychoanalyse weder theoretisch noch in ihren klinischen Formen in England sehr bekannt. Es wäre nicht leicht gewesen, psychoanalytische Hilfe zu finden, da es damals nur wenige ausgebildete englische Psychoanalytiker gab, aber möglich gewesen wäre es schon. Die Blütezeit der englischen Psychoanalyse kam allerdings erst später. Im 20. Jahrhundert ging man erst Mitte der 20er Jahre auf den Kontinent, um dort die Psychoanalyse bei Sigmund Freud in Wien oder Hanns Sachs und Karl Abraham in Berlin zu lernen. Da war Virginia Woolf schon als Schriftstellerin arriviert und hatte andere Gründe, in der Psychoanalyse keine Heilmethode für sich selbst zu sehen.

In ihrer Krankheitsphase zwischen 1910 und 1915 war die englische Gesellschaft zudem noch traditionell geprägt und als Klassengesellschaft organisiert. Es gab feste Wege, wie man mit psychischen Erkrankungen umging. Damals ging man zu Psychiatern, die der richtigen Schicht angehören mussten. Sie waren möglichst in der Harley Street in London angesiedelt, dort, wo die renommierten Ärzte praktizierten.

Das war auch der Weg, den Virginia Woolf beschritten hat. Sie wurde von ihrem Mann, Leonard Woolf, zu einem Hirnspezialisten gebracht. Dies geschah in einer Zeit, wo – nach ihrer Eheschließung – die sexuellen Themen in ihr aufbrachen, die, so ist zu vermuten, bereits eine lange Zeit zur Seite geschoben oder unterdrückt worden waren. Es erklärt auch, warum sie es zuließ, in einem Sanatorium untergebracht zu werden, welches die Neurasthenie, so wurde die Vorstellung von der Erkrankung der Nervenzellen genannt, mit einer Mastkur behandelte.

Tiefere Kenntnisse über die klinische Psychoanalyse erlangte Virginia Woolf erst, als sie zusammen mit ihrem Mann Leonard Woolf Freuds Texte in der Hogarth Press verlegte, insbesondere die „Fallgeschichten“. Sie tat vielfach so, als habe sie diese Texte nur gedruckt, aber nicht selbst gelesen. Das stimmt aber nicht. Wenn man den Dingen nachgeht, kann man an Stellen in ihren Tagebüchern oder auch in ihren Briefen erkennen, dass sie doch in die Druckfahnen geschaut oder sie gelesen hat.

 

Wie viel ist über die Ursachen ihrer Erkrankung bekannt?

Es gibt da verschiedene Faktoren, die in den Biografien über sie unterschiedlich gewichtet werden. Ein Grund ist ganz sicher der frühe Verlust der Mutter, ein weiterer, dass sie von ihren Halbbrüdern sexuell missbraucht wurde. Diese Vorgänge sind ihrer Leserschaft erst Jahre später bekannt geworden. Es wäre für sie damals sehr problematisch gewesen, über diese sexuelle Thematik mit jemandem offen zu sprechen. In der Zeit zwischen 1910 und 1915 wäre dies vermutlich noch gar nicht möglich gewesen.

 

Trotz ihrer Kenntnisse nutzt sie ihr Wissen über diese Hilfsmöglichkeit nicht und begeht mit 59 Jahren Selbstmord. Warum war ihr Verhalten so widersprüchlich?

Ich sehe den Selbstmord nicht als eine unbedingte Folge ihrer Erkrankung. Man muss bedenken, dass es sich historisch um eine schwierige Zeit gehandelt hat. Ein Weltkrieg mit bisher unvorstellbarer Massenvernichtung hatte sich gerade ereignet. Ein zweiter drohte, sich zu einer noch größeren Katastrophe auszuweiten. Das hat die deutsche, aber auch die englische Gesellschaft fundamental verändert. 1941 war England das Ziel deutscher Bombenangriffe. Eine deutsche Invasion Englands wurde befürchtet. Virginia Woolf hatte einen Juden zum Mann, ihr Ferienhaus, an dem sie sehr hing, lag unmittelbar am Ärmelkanal und war somit von deutschen Raketen bedroht. Ihr Haus in London, in dem sich auch Wandgemälde ihrer über alles geliebten, älteren Schwester Vanessa Bell befanden, war zerstört. Es gab in dieser Zeit also enorme Belastungen und kaum irgendwo Halt. Ich würde darum nicht sagen, dass dieser Selbstmord nur ein Ausdruck ihrer Erkrankung gewesen ist. Man kann das so sehen, aber ich bin in dieser Hinsicht vorsichtig. Vor dem Hintergrund einer solch akuten Bedrohung – wenn es den Deutschen gelungen wäre, in England einzumarschieren – musste ihr Mann als Jude fürchten, festgenommen, verschleppt und sogar getötet zu werden. Hinzu kam die Perspektive, nach einem Einmarsch der Deutschen selbst nicht mehr schriftstellerisch arbeiten zu können, eine persönliche Katastrophe … ich denke, das hat in einer Weise auf sie eingewirkt, dass sie sich ein Weiterleben nicht vorstellen konnte.

In ihrem Abschiedsbrief an Leonard erwähnt sie allerdings, dass sie wieder Stimmen hört. Das Stimmenhören gilt als klassisches Symptom für eine schwere psychische Erkrankung von der Kategorie einer Psychose. In meinem Nachdenken über den Zusammenhang von Trauma und Paranoia bin ich aber zu der Auffassung gekommen: Auch jemand, der psychisch nicht so labil gewesen wäre wie Virginia Woolf, hätte unter diesen Umständen einen Zusammenbruch erleiden oder diesen Weg wählen können, den sie gewählt hat.

 

Wie hat sich die Erkrankung auf den Schaffensprozess von Virginia Woolf ausgewirkt? Gaben die Krankheitsschübe ihrem kreativen Schaffen wichtige Impulse?

Ja, das sagt sie selbst. Sie hat die Krankheitsphasen, die sie zum Teil ans Bett fesselten, für ihre Schaffensperioden als sehr wichtig empfunden. Ich habe das so verstanden, dass eine Krankheit die Bewusstseinszustände lockert. Zwänge und Aufgaben des Alltags treten in den Hintergrund, Träumen, Phantasiebereichen kann mehr Raum gegeben werden. Virginia Woolf konnte diese Schwebezustände zwischen bewusst und vorbewusst, zwischen Unbewusstem und Traumhaftem, für ihre Arbeit nutzbar machen. Sie entwickelte einen besonderen literarischen Stil, der zu einer Lockerung von Syntax und Sinnzusammenhängen führte, Dinge wurden zusammengefügt, die gemäß der rationalen Logik so nicht zusammengehören. Ihre Krankheitszustände hatten eine Verbindung zu dieser Form ihres Schreibens, dem „Stream of consciousness“.

Auch meinte Virginia Woolf, so glaube ich, dass in der Krankheit etwas Emanzipatorisches liege. Auch dieser Gedanke klingt vielleicht paradox. Emanzipatorisch wirkt das Leiden einerseits, weil es Erfahrungen zur Folge hat, die das Wissen über sich selbst vertieft, zum Beispiel über die eigene Leiblichkeit und Vergänglichkeit und andererseits zur Inbesitznahme dieser eigenen Lebenserfahrung verhilft. So hat Virginia Woolf, als sie erkannt hatte, dass sie ihr Leiden durch eine Behandlung nicht würde lindern können, versucht, aus dieser Situation etwas Positives für sich als Schriftstellerin zu machen. In ihren Aufzeichnungen schildert sie die Erkenntnis, dass sie nichts ist, wenn sie nicht schreibt. Jeder Mensch muss sich in der Konfrontation mit Leid auf seine eigenen Möglichkeiten besinnen und diese kreativ für sich nutzbar machen. Die Leidenserfahrung individualisiert, sie wirft das Individuum auf das zurück, was es an Potenzialen zum Einsatz bringen kann. Auch andere Schriftsteller haben beispielsweise ihr Leiden kreativ zu nutzen vermocht. Virginia Woolf ist in dieser Hinsicht also kein Einzelfall, doch hat sie ihre Erfahrungen explizit formuliert.

 

Begegnet Ihnen ein solcher Umgang mit der eigenen Erkrankung öfter auch bei anderen Menschen?

Jede Krankheit und jede Krankheitsbewältigung ist etwas Individuelles. Das Erleben der Krankheit führt an besondere Punkte der eigenen Persönlichkeit heran. Insofern liegt im Umgang mit Krankheit potenziell etwas Emanzipatorisches und etwas Individualisierendes. Wer Leid am eigenen Körper erfährt, spürt, dass man diese Erfahrung nicht nach vorgegebenen Rastern oder Klischees einordnen kann. Es gilt, individuelle Umgangsweisen mit der eigenen Krankheit zu entwickeln.

Auch Virginia Woolf hat versucht, ihre schmerzhaften Leiden auf ihre eigene Weise zu lindern. Die Frage, warum sie bei dieser Suche nicht den Weg zur Psychoanalyse fand, warum sie nicht versucht hat, sich durch die Psychoanalyse zu heilen, habe ich auf verschiedenen Ebenen untersucht. Das eine sind die historischen Zusammenhänge, die habe ich schon genannt. In der Anfangsphase stand ihr die Psychoanalyse als Behandlungsmethode konkret noch nicht zur Verfügung. Später hätte ihr die Methode offen gestanden, da aber war sie schon so mit ihrer eigenen Arbeit beschäftigt und eine Berühmtheit, dass es jetzt eines Schritts bedurft hätte, sich den Freiraum zur Behandlung der eigenen Krankheit zu schaffen. Sie hat damals ein Buch nach dem anderen veröffentlicht und sich in eine homoerotische Liebe zu Vita Sackville-West gestürzt. Sie genoss die Zerstreuung des Literaturbetriebs und des intellektuellen Lebens von Bloomsbury und suchte nach unterschiedlichen Kompensationsmöglichkeiten. Als dann Freud nach seiner Emigration in London lebte, begegnete sie ihm in seinem Haus und äußerte sich fasziniert über seine intellektuelle Größe und über das, was sie der psychoanalytischen Einsicht verdankt hat. In ihren Tagebüchern spricht sie dies an. Ein Punkt, der für sie wichtig wurde, war die Erkenntnis, dass es möglich sei, ein und derselben Person gegenüber widersprüchliche Gefühle zu haben, Liebe und Hass. Freuds Sätze zur Ambivalenz waren für sie eine Art Erlösung. Sie musste sich nicht mehr quälerisch eindeutige Gefühle abverlangen. Sie äußerte sich dankbar darüber, dass Freud ihr diese Einsichten ermöglicht hat.

 

Virginia Woolf zählt bis heute zu den wichtigsten Autorinnen der klassischen Moderne. Ihr Erzählstil wurde, so vermuten Sie, auch stark von der Psychoanalyse geprägt. Wie zeigt sich dieser Zusammenhang in ihren Werken? Wie stark hat das Wissen über Arbeitsweisen und Erkenntnisse der Psychoanalyse ihr literarisches Werk befruchtet?

Es wirkt ja in der Tat paradox, dass Virginia Woolf sich in der Öffentlichkeit so deutlich ablehnend über die Psychoanalyse geäußert hat und gleichzeitig so nah an diesen Erkenntnissen dran war. Ich habe dies ja bereits beschrieben: Virginia Woolf hat in ihrer Hogarth Press Freuds Werk verlegt, ihr Mann Leonard Woolf hat sich intellektuell mit Freuds Texten beschäftigt, ihre Freunde wurden Psychoanalytiker und sind nach Wien oder Berlin gegangen, ihr jüngerer Bruder ist Psychoanalytiker. Wie ist es zu verstehen, dass sie sich so manifest ablehnend äußert, wenn sie gleichzeitig so dicht dran ist. Sie war so nah an der Psychoanalyse dran, wie fast niemand sonst in dieser Gesellschaft in England. Es muss also andere Gründe für ihre öffentliche Distanznahme geben. Meine Vermutung ist, dass ihr die Psychoanalyse nicht – wie manche vermuten – zu fern war, sondern im Gegenteil, dass sie ihr zu nah kam. Und zwar auch hinsichtlich ihrer ureigenen literarischen Schöpfung, der neuen Form des Erzählens von Subjektivität. Sie sah es ja als ihre Erfindung, eine Persönlichkeit nicht mehr als ein geschlossenes Ganzes darzustellen. Noch ihr Vater Leslie Stephen hatte große Persönlichkeiten der Geschichte wie Monolithe auf einen Sockel gehoben und er folgte damit ganz der Tradition der Viktorianischen Geschichtsschreibung.

Virginia Woolfs Anliegen war es hingegen, Persönlichkeiten als in sich gebrochene Menschen mit unterschiedlichen Facetten zu zeigen. Ich denke, in den Fallgeschichten von Sigmund Freud hatte sie genau das gefunden, dass Personen und Individuen sowohl krank als auch gesund sein konnten, dass es fließende Übergänge gibt und dass Personen nicht in schwarz oder weiß, krank oder gesund zu kategorisieren sind. Diese Darstellungen Freuds waren für sie erhellend. Andererseits, da Freud ebenfalls einen eigenen, literarischen Schreibstil hatte – insbesondere bei den Beschreibungen der Individualität seiner Patienten in den Fallgeschichten – denke ich mir, kam ihr Freud zu nah. Virginia Woolf wollte sich jedoch nicht zu nah mit Sigmund Freud in Verbindung sehen – , sie hatte sich erst gerade von einem Patriarchen – ihrem Vater – hinsichtlich ihres schriftstellerischen Tuns befreit. Es war für sie ein Anliegen, den „Stream of consciousness“, den sie entwickelt hat und den sie als ihre eigene Schöpfung deklarierte, zur Geltung zu bringen und damit bedeutend zu werden.

 

Ein Motiv war demnach, sich von Freud und seinem Werk abzugrenzen. Sind Virginia Woolfs literarische Stilformen (Subjektivität, Stream of consciousness, Vielschichtigkeit der Charaktere) also durch die Auseinandersetzung mit dem psychoanalytischen Werk von Sigmund Freud und unter diesem Einfluss entstanden?

In dieser Frage darf man mich nicht auf eine Antwort festnageln. Man muss intelligent spekulieren können und darf Hypothesen aufstellen die allerdings auch berechtigten Widerspruch hervorrufen können. Natürlich kann man sagen – und das tun auch viele – dass diese Form, Persönlichkeiten zu entwickeln, und der literarische Stil des „Stream of consciousness“ mit „Ulysses“ – von dem sie sich übrigens sehr abgegrenzt hat – in der Luft lagen. Deswegen könnte ich nicht sagen, sie hat den Schreibstil von Sigmund Freud „übernommen“, das wäre viel zu fixierend. Vermutlich hat sie sich beeinflussen lassen, das denke ich schon, und das habe ich an ihrem Roman „Mrs Dalloway“ – wie im Essay nachzulesen ist – im Einzelnen nachgezeichnet. Interessanterweise ist der Roman zum gleichen Zeitpunkt erschienen, wie die Ausgabe der in ihrem Verlag auf Englisch publizierten Fallgeschichten. Der Band III der „Collected Papers“ von Sigmund Freud ist den Fallgeschichten gewidmet. Dieser Band wurde just zu der Zeit verlegt, als ihr Werk „Mrs Dalloway“ herauskam. Es ist also ein deutliches zeitliches Zusammentreffen zu sehen, aber auch die in „Mrs Dalloway“ behandelten Themen, wie Sexualität, Kriegsneurose, neurotische Fehlhandlungen sowie die Komposition und der Stil des Romans legen eine Berührung mit den Themen der Psychoanalyse sehr nahe.

 

Gibt es in der heutigen Gesellschaft weiterhin eine Scheu, die Psychoanalyse als Hilfsmittel anzunehmen. Fürchten beispielsweise Autoren, sie könnte der eigenen Kreativität schaden?

Freud selbst hat sich in einem Brief an eine junge Violinistin zu dieser Frage deutlich geäußert und gesagt, wenn ein wirkliches Talent vorhanden sei, könne die Psychoanalyse dieses Talent nur noch verstärken und frei legen. Das ist seine Aussage dazu gewesen. Ich sehe dies auch so, ich sehe aber auch eine Scheu unter zeitgenössischen Künstlern – aus den Bereichen der Bildenden Kunst und der Literatur – sich mit der Psychoanalyse tiefergehend zu befassen. Sein eigener Enkel, Lucian Freud, hat sich so geäußert, „die Psychoanalyse verschlinge zuviel Lebenszeit“. Walter Benjamin hat seine Träume, den „Königsweg zum Unbewußten“ nach Freud, nicht nach der Freudschen Methode deuten oder analysieren wollen, er wollte sich mit ihnen nur als literarischem Stoff auseinandersetzen. Träume werden als Material für eine Erzählung oder einen Essay eingesetzt. Das findet man häufiger. Sieben Jahre habe ich eine Reihe zur Psychoanalyse und Literatur im Frankfurter Literaturhaus betreut. Damals haben einige Autoren, die angefragt wurden, sich nicht beteiligen wollen aus Sorge, welchen Effekt es haben könnte, mit der Psychoanalyse in Verbindung gebracht zu werden. Solche persönlichen Sorgen und Ängste sind nachvollziehbar: Auch heute weiß man wenig darüber, woraus Kreativität hervorgeht. Die Schriftsteller wissen von sich oft selbst nicht, worauf ihre Kreativität gründet und wollen sich schützen.

 

Ich möchte noch einmal nachfragen. Gibt es – ähnlich wie in der Zeit Virginia Woolfs – gegenwärtig noch eine Schwellenangst gegenüber der Psychoanalyse. Gilt dies auch für Menschen, die selbst keinem kreativen Beruf nachgehen?

Ja, die Schwellenangst gibt es nach wie vor. Das heißt nicht, dass man die Hilfe nicht in Anspruch nimmt, die Angst zeigt sich eher in der Weise, dass man nicht möchte, dass eine Behandlung in der Öffentlichkeit bekannt wird. Diese Scheu ist sicher ein Zeichen dafür, ein solches Vorgehen könne als Schwäche angesehen werden. Trotzdem meine ich, dass sich bezüglich der Anerkennung der Psychoanalyse viel verändert hat. Durch die Einbettung in das Krankenkassensystem ist der Zugang für alle Bevölkerungsschichten leichter geworden. Auch sind die Konzepte und Denkweisen der Psychoanalyse inzwischen in das Alltagsbewusstsein eingedrungen. Insgesamt ist die Offenheit für die Schriften Sigmund Freuds und die Akzeptanz für die Psychoanalyse als Behandlungsmethode sehr gewachsen, auch bei Angehörigen sogenannter kreativer Berufe, denn es ist diese Behandlungsmethode, die wirklich auf die Individualität und damit auf die Kreativität des Einzelnen einzugehen vermag und ihr Respekt zollt.

 

Link zur Erstveröffentlichung und dem weiterführenden Essay

 

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