Boston 49th congress

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Im World Trade Center in Boston, Massachusetts,  fand vom 22. bis 25. Juli 2015 der 49. Weltkongress der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPA) statt. Die IPA ist bereits 1910 gegründet worden und hat über 12 000 Mitglieder. Zweiggesellschaften in Deutschland sind die DPV und die DPG.

Die Hafenanlagen in Boston, selbst einmal ein dem Meer abgerungener, aufgeschütteter Erweiterungsraum, ist zu modernen Wohnvierteln, Veranstaltungsplätzen und Hotels umgebaut worden. Das WTC hat seinen Platz im ehemaligen Commonwealth Pier gefunden, 1913 der größte Verladungsplatz der Welt. Welchen besseren Ort kann es geben, um über Veränderungen nachzudenken. Das Kongressthema „A changing world – the shape and use of psychoanalytic tools today“ war hier bestens aufgehoben. Es wurden alle Räume gebraucht, um Platz für die insgesamt 600 Veranstaltungen zu bieten. Die 2.000 Teilnehmer der Tagung mussten sich durch ein 170 Seiten dickes Programmheft durcharbeiten, um ihre Entscheidungen zu treffen

Die Hauptvorträge der Tagung können auf der Website der IPA nachgelesen werden, www.ipa.world

Die Auswahl der Hauptredner und ihre Themen spannten einen weiten Bogen: 

  • Über die Symbolisierung unprozessierter psychischer Zustände (René Roussillon), 
  • Veränderungen der Behandlungstechnik von der Deutung der tiefsten Angst zur Beschreibung der psychischen Regulation (Virginia Ungar, zukünftige Präsidentin der IPA), 
  • Veränderungen der analytischen Arbeitsweise aus der Sicht eines nordamerikanischen Ich-Psychologen (Fritz Busch), 
  • eine Beschreibung von Veränderungen psychischer Funktionsweisen wie Homogenisierung, Horizontalisierung und Operationalisierung unter dem Einfluss schneller, technischer und sozialer Veränderungen (Christopher Bollas), 
  • nachteilige und hilfreiche Auswirkungen des Lebens in virtuellen Welten (Alexandra Lemma) 
  • Überlegungen zum analytischen Werkzeug in der Behandlung psychotischer Bereiche der Persönlichkeit (Altamirando Matos de Andrade).

 

Durch den Wechsel zwischen großen gemeinsamen Veranstaltungen und den vielen Kleingruppendiskussionen, die z. T. schon in den Monaten vor der Tagung begonnen hatten (Boston Groups), konnte sich der einzelne Teilnehmer manchmal verloren und dann wieder in  sehr persönlichen Kontakten aufgehoben fühlen.  Die Teilnehmer kamen aus insgesamt 53 Ländern. 

Die Förderung des Austausches untereinander ist eine der großen Aufgaben der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Die Entwicklung in den drei großen Regionen Europa, Nordamerika und Südamerika hat ihre jeweils eigene Dynamik. Die Psychoanalyse hat sich in den letzten 20 Jahren im osteuropäischen und asiatischen Raum weiter ausgebreitet. In Asien wird sich eine vierte Region konstituieren. 

 

Es gibt eine starke Strömung in der ehemals oft geschlossen wirkenden Gesellschaft, die  sich den Herausforderungen einer sich verändernden Welt stellen möchte. Ich bin fast etwas überrascht von der Offenheit und der Aufbruchsstimmung. In diesem Prozess wird alles neu überdacht werden, dazu gehören auch die Regularien für die Ausbildung, für deren hohen Standards die IPA steht. Die psychoanalytische Arbeitsweise, ihre Technik, ihre Werkzeuge und ihre Anwendungen befinden sich schon längst in einem Prozess der Anpassung und Einstellung auf eine sich verändernde Welt. Und das führt zu Kontroversen über die Frage, was zu den Grundlagen der Technik gehört, wie die besondere Art und Weise des Nachdenkens bewahrt wird und wie sie weitergegeben werden kann.

 

Den europäischen Besucher bringt die Begegnung mit den ganz unterschiedlichen sozialen, ökonomischen, kulturellen und gesundheitspolitischen Bedingungen, unter denen psychoanalytisch gearbeitet wird, auf neue Gedanken. Wie überlebt unsere Profession in zusammenbrechenden Staaten? Maßstäbe verschieben sich in ökonomischer Not, die Genderdiskussion  rührt an vertraute Maßstäbe. Längst werden Supervisionen in „remote“-Form und Behandlungen über Skype durchgeführt, mit Ausbildungen unter diesen Voraussetzungen wird experimentiert. Die Welt ist alles andere als homogen. Überall breitet sich die moderne Technologie aus und scheint uns enger zu verbinden. Aber die Begegnungen auf einer Tagung zeigen doch, dass auf den persönlichen Kontakt nicht verzichtet werden kann. 

Wie auf den Tagungen der europäischen Föderation fanden auch in Boston viele Veranstaltungen bereits vor der Tagung statt, von den Ausbildungskandidaten (IPSO) und in mehr als 30 Arbeitsgruppen zu meistens kasuistisch orientierten Themen. 

 

So bot dieser Kongress eine Fülle an Anregungen, wie wir uns als Psychoanalytiker angesichts rasant sich verändernder sozialer, technischer und politischer Strukturen mit unserer Theorie und Technik und unserer Art des Nachdenkens auseinandersetzen, wie der Austausch mit anderen Wissenschaften und mit anderen Professionen weiter verbessert werden kann und wie Psychoanalytiker sich im öffentlichen Raum zu Wort melden sollten.

 

Ingo Focke

 

 

Hauptvorträge der Tagung: http://www.ipa.world/images/bostonpapers.jpg
Fotogalerie:
https://documentaryarts.smugmug.com/IPA/Other-19