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KONFLIKT UND VERSÖHNUNG

Anne-Marie Sandler im Gespräch mit Ludger Hermanns

Unter dem Titel „Konflikt und Versöhnung“ fand am Samstag, den 9. Mai 2015 eine autobiografische Lesung der 1925 in Genf geborenen und in London lebenden Psychoanalytikerin Anne-Marie Sandler statt, deren Autobiografie soeben im zehnten Band der Buchreihe "Psychoanalyse in Selbstdarstellungen" im Brandes & Apsel-Verlag, Frankfurt, erschienen ist. Ihr Gesprächspartner war Ludger Hermanns, der Herausgeber dieser Reihe und Gründer des "Berliner FORUM für Geschichte der Psychoanalyse", das zu diesem Abend eingeladen hatte, und das seit 15 Jahren zwei Mal jährlich in Berlin öffentliche Veranstaltungen über aktuelle Forschungsthemen der Psychoanalysegeschichte ausrichtet.

 

Das Berliner Literaturhaus bot eine angenehme, würdige Atmosphäre, der Raum war mit ca. 130 Teilnehmern vollständig besetzt, davon viele Psychoanalytiker, vor allem der DPG, mit denen Anne-Marie Sandler  seit 25 Jahren in überregionalen klinischen Seminaren und in Supervisionsgruppen an vielen DPG – Instituten zusammenarbeitet. 

 

Es wurde ein eindrucksvoller, bewegender Abend. Wer Anne-Marie Sandler kennt, vor allem ihre lebendige Art zu erzählen, hatte bereits vorher geahnt, dass aus dem vorgesehenen Leseabend aus ihrer Biografie ein überwiegend freier Erzählabend werden würde. Sie verließ sehr rasch ihr Manuskript, das ihr nur noch als Orientierung für das Erzählen einiger Kapitel aus ihrem Buch diente, die sie zuvor zusammen mit Ludger Hermanns ausgewählt hatte und ließ sich durch kurze Kommentare oder Fragen seinerseits zu weiterem Erzählen anregen.

Anne-Marie Sandler sprach über die Umsiedlung der Familie aus Deutschland in die Schweiz lange vor ihrer Geburt, der weisen Umsicht ihres Großvaters geschuldet, der in Deutschland schon lange vor Hitler den Antisemitismus als außerordentlich bedrohlich einschätzte; über die irritierenden Gefühle als Kind, dem plötzlich die geliebte deutsche Sprache zu sprechen verboten wurde, als Hitler an die Macht kam;  über ihre ersten ängstigenden Begegnungen mit deutschen Analytikern Anfang der 80-er Jahre und über ihr langes Zögern, dem Rat eines Freundes und auch ihres Mannes Joseph Sandler zu folgen, in Deutschland mit den Psychoanalytikern der DPG Kontakte zu knüpfen, um mit ihnen psychoanalytisch zu arbeiten. Daraus wurde die bereits erwähnte bis heute bestehende intensive Zusammenarbeit, über die Anne-Marie Sandler ausführlich berichtete. Es wurde auf eindrucksvolle Weise deutlich, wie sie mit ihrer fachlichen und persönlichen Kompetenz, mit ihrer Großzügigkeit und Toleranz und vor allem auch mit  einem langen Atem der DPG verhalf,  aus den neoanalytischen Traditionen zur Psychoanalyse zu finden, was schließlich 2009, ebenfalls mit Anne-Marie Sandler als Chair eines Committees der IPV,  zur Aufnahme in die „Internationale Psychoanalytische Vereinigung“ führte. 

 

Die sorgfältige Vorbereitung dieser Veranstaltung einschließlich der Wahl des Zeitpunkts , der 9. Mai 2015, also  der Tag nach der Befreiung vom nationalsozialistischen Terror vor 70 Jahren, ließ etwas von dem lebendig werden, was die Veranstalter in ihrer Einladung angekündigt hatten: die Erzählung  von Anne-Marie Sandler über ihren „lebenslangen Konflikt zwischen ihrer schmerzhaften Bindung an Deutschland und ihrer jüdischen Identität. Dadurch, dass sie nach Jahrzehnten der Entfremdung einen Versöhnungsprozess in der deutschen Psychoanalyse mit auf den Weg brachte, konnte sie zuletzt ihre eigenen widersprüchlichen Gefühle miteinander versöhnen.“ Ein bewegender, sehr persönlicher und gleichzeitig historisch-politisch bedeutsamer Abend.

 

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