Meeting Societies on Education am 28.5.2021, ein Bericht
03.08.2021 von DPG
„Meeting Societies on Education“, ein Bericht.
Am 28.5.2021 trafen sich auf Initiative des Psychoanalytic Education Committee (PEC) drei europäische IPV-Gesellschaften zu einem Meeting, um einen Tag lang im Rahmen des „Meeting Societies on Education“-Projekts gemeinsam über die verschiedenen Traditionen der psychoanalytischen Ausbildung in der IPV zu diskutieren.
Unter der moderierenden Leitung von Angelika Staehle, Leena Klockars und Giovanni Foresti haben wir, d.h. die Belgische, die Schwedische Gesellschaft und die DPG Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Ausbildungsmodelle bzw. -zugänge besprochen. Unsere Diskussion fand in einer guten, offenen und interessierten Atmosphäre via Zoom statt. Im Vorfeld wurden ausführliche Darstellungen der jeweiligen Ausbildung der drei Gesellschaften ausgetauscht, sodass es nicht um eine Informationsvermittlung ging, sondern um ein gemeinsames Nachdenken über Entwicklungsmöglichkeiten und Entwicklungsprobleme und -hindernisse.
In der Vorbereitungsgruppe der DPG (K. Grabska, G. Zemsch, S. Loetz, D. Saalwächter und F. Geyer) hatten wir in insgesamt fünf Sitzungen ein 15seitiges Exposé verfasst, das die Strukturen und Inhalte der Ausbildung beschreibt und das einige Spannungsfelder und Probleme in der DPG-IPV-Ausbildung benennt: die Veränderungen der staatlichen Ausbildungsstruktur, die politischen Verwerfungen nach dem 3-5-Beschluss von 2017 und die erhebliche Überalterung der IPV-Lehranalytiker. Diese Treffen waren durch eine vielfältige Diskussion, durch das Zusammentragen der Informationen, auch durch ein „lautes“ Nachdenken über die IPA-Ausbildung gekennzeichnet und so waren wir - durch unsere eigenen Überlegungen angeregt - neugierig auf die Exposés der beiden anderen Gesellschaften.
Im ersten Abschnitt unseres Meetings mit dem PEC und der Belgischen und Schwedischen Gesellschaft stand die historische Entwicklung der jeweiligen IPV-Gesellschaft im Mittelpunkt. Dazu zählen auch Gründungsnarrative, die Berücksichtigung der gesellschaftlichen und politischen Situation der jeweiligen Gesellschaft zur Zeit ihrer Gründung oder - wie bei der DPG - der Weg, den die DPG zurückgelegt hat, um 2009 erneut in die IPA als component society aufgenommen werden zu können. Durch die Belgische Gesellschaft, die das französische Ausbildungsmodell vertrat, war es uns möglich, auch Aspekte der Eitingon-Ausbildung mit einem Blick von außen zu diskutieren. So konnte beispielsweise die Frage aufkommen: was, wenn die Funktion des Lehranalytikers und die Lehranalyse in der Ausbildung fehlt? Konflikte und Spannungen, die sich hieraus in beiden Modellen an unterschiedlichen Punkten ergeben, ließen sich ansatzweise besprechen.
Es wurde deutlich, dass im Schwedischen Eitingon-Modell unterschiedliche Meinungen darüber bestehen, inwieweit die Funktion des Lehranalytikers und der Lehranalyse in der Ausbildung der zentrale Punkt ist, während gleichzeitig die Supervision und die Funktion des Supervisors in der Schwedischen Gesellschaft zentral für die Ausbildung gesehen werden. Folgerichtig gibt es in Schweden auch eine obligatorische Weiterbildung für Kolleginnen und Kollegen, die als Supervisoren in der Ausbildung arbeiten wollen.
In der Darstellung und Beschreibung des belgischen/französischen Modells wurde sehr deutlich, dass es zwar keine „Lehr“Analyse gibt, die „persönliche Analyse“ von den Kandidatinnen und Kandidaten jedoch als sehr bedeutsam für ihre Weiterentwicklung eingeschätzt wird. Trotz eines Minimalstandards dieser „persönlichen Analyse“, der Voraussetzung für den komplexen Aufnahmeprozess ist, dauert diese meist viele Jahre länger als das geforderte Minimum.
Zentral scheint, dass die unterschiedlichen Modelle den Fokus auf die gleichen Grundfragen der psychoanalytischen Ausbildung lenkt: welches ist die Qualifikation der Analytiker, die als Lehranalytiker (oder Analytiker für die persönlichen Analysen) arbeiten? Wer ist hierfür genug qualifiziert (und woran erkennt man das?) und wie wird diese Qualifikation festgestellt und „verliehen“?
Während die DPG die Qualifikation der Lehranalytiker mithilfe von Evaluationen und mit der Vorgabe von quantifizierten Voraussetzungen zu lösen versucht, findet sich im Schwedischen Ausbildungsmodell eine andere Situation. Unserem Eindruck nach haben hier v.a. Supervisoren eine herausragende Position, da sie einen eigenen Ausbildungsausschuss besetzen. Dabei gibt es Stimmen, die fürchten, dass auf diese Weise die emotionale und identitätsstiftende Wirkung der Lehranalyse entkräftet werden könnte. Die Bedeutung, die den Supervisoren im Schwedischen Modell eingeräumt wird, regte uns an, über den Stellenwert der Ausbildungssupervision in unserer IPV-Ausbildung nachzudenken.
In Belgien wird auch unter Zuhilfenahme der Sprache („Membre Titulaire“) der Status der IPV-Vollmitgliedschaft für den IPV-Supervisor benannt. Damit wird auch auf die Unterscheidung von Funktion und Berufung (aufgrund des langjährigen Erwerbs von Kompetenz) hingewiesen: auch mit der Berufung zum „Membre Titulaire“ ist man zugleich (so eine Kollegin) „nicht in allem gut“.
Die Frage, inwieweit die psychoanalytische Ausbildung primär auf die Entwicklung einer psychoanalytischen Identität setzt oder mehr als Ausbildung für die professionelle und psychoanalytische berufliche Tätigkeit gesehen wird, können wir nur im spannungsvollen Rahmen beantworten. Eine Autorisierung durch Evaluation kann im günstigen Fall die Entwicklung der psychoanalytischen Identität fördern. Sie bliebe aber ein eher stumpfes Rahmenprogramm, das den eigentlichen Kern der psychoanalytischen Ausbildung (so wie er beispielsweise in den Graduierungskriterien der belgischen Gesellschaft formuliert ist) verfehlt, wenn allein die professionelle Tätigkeit als psychoanalytische Behandlerin und psychoanalytischer Behandler im Vordergrund steht. Insofern hat die DPG, die sich in Deutschland - ebenso wie die DPV - auch im Bereich der staatlichen Psychotherapeuten-Ausbildung befindet, die Aufgabe, neben der Professionalisierung vor allem die Entwicklung der psychoanalytischen Identität zu fördern. Dies wurde uns bei diesem Treffen noch einmal sehr klar.
In den weiteren Sektionen unseres Meetings - mit den Themen „Philosophie der Ausbildung“ und „Welche Führungsstruktur wird in der Gesellschaft vertreten?“ - vertieften sich diese Themen weiter. Alle drei Gesellschaften stellten fest, dass neben der inhaltlichen Vermittlung von psychoanalytischer Behandlungstechnik und Theorie v.a. der so genannte „dritte Blick“ notwendig ist.
Während in Belgien großer Wert auf die mündliche Weitergabe der Informationen und das Nachdenken über die Entwicklung der Kandidaten gelegt wird, liegt ein Schwerpunkt in der schwedischen Gesellschaft darauf, dass die Kandidaten ihre eigene Entwicklung - auch im Zusammenspiel mit ihren Supervisoren - schriftlich vorlegen und insofern ein eigenes Nachdenken über ihre Fortschritte gefördert wird. Daraus entwickelten wir nach unserem Meeting erste Überlegungen, ob und wie wir in der DPG in den Evaluierungsprozess am Ende der Ausbildung auch Elemente einer beiderseitigen Prozessbewertung einbinden könnten. Damit würde auch an dieser Stelle die Wertschätzung für die neuen jungen Kollegen Ausdruck finden, in ihrem Übergangsprozess vom Kandidatenstatus zur gemeinsamen kollegialen Zusammenarbeit.
Der Aspekt dieses Übergangs - von der Identität als Ausbildungskandidat zu jener des jungen Kollegen - nahm in unseren Diskussionen während des Meetings breiten Raum ein und dies setzte sich in unserem Nachgespräch in der DPG fort. Wir verstanden, dass wir uns gerade an diesem Entwicklungspunkt nicht nur auf die formalen Aspekte (Prüfung, Mitgliedschaft) sondern vor allem auf die Frage konzentrieren sollten: Wie können wir die jungen Kollegen für die Ausbildung der nächsten Generationen interessieren? Eine solche durchlässigere und v.a. intensivere gemeinsame Ausbildungsdiskussion und die Entwicklung postgradualer Wege in der IPV könnte dabei auch jenen Bruch mit vermeiden helfen, den alle Gesellschaften im Weiteren beschrieben haben. Es kommt zu häufig vor, dass jene Kandidaten, die schließlich ihre Ausbildung erfolgreich beendet haben, den psychoanalytischen Instituten bzw. Gesellschaften gegenüber auf Abstand gehen und uns quasi „verloren gehen“. Die Verbindung zur Zukunft der Psychoanalyse scheint also darunter zu leiden, dass manche ehemalige Kandidaten nur eingeschränkt Interesse an der psychoanalytischen Arbeit und deren Weiterentwicklung zeigen, womöglich auch, weil sie die Autorisierung am Ende der Ausbildung durch eine Prüfung als eher kränkend, negativ und kritisch erlebt haben.
Die Anforderung, die im Veränderungsprozess befindliche Psychoanalyse in einer sich ebenfalls rasant verändernden Welt weiterzuentwickeln, wurde für uns im Meeting gegen Ende ein erkennbarer Fokus.
Dazu haben wir mehrere Ideen entwickelt, z.B. die Förderung der Gruppenkohäsion innerhalb der Ausbildung (z.B. durch Lese- und Intervisionsgruppen) oder Outreach-Aktivitäten, in denen wir die Psychoanalyse als Haltung und als relevante Art des Nachdenkens in der Gesellschaft zeigen können.
In unserer Nachbesprechung ergaben sich weitere Impulse für Initiativen: wir verstanden, dass viele Kandidaten ein großes Interesse an der Geschichte der eigenen Gesellschaft haben, die im normalen Ausbildungsgang nur selten thematisiert wird. Die Kenntnis der Geschichte kann helfen, auch die Entwicklung der Ausbildungscharakteristika zu erkennen. Wir hatten eine erste Idee, nämlich einen Reader mit verschiedenen Aufsätzen über den Weg der DPG in die IPA zusammenzustellen und ihn für alle Kandidaten zugänglich zu machen.
Es wäre schließlich sinnvoll, zusammen mit der DPV ein Treffen über unsere jeweiligen Ausbildungsstrukturen zu initiieren, um die Herausforderungen der psychoanalytischen Ausbildung unter den Bedingungen der staatlichen Anbindung zu diskutieren.
Es gab einige Punkte, die wir nicht weiter besprochen haben, z.B. die IPV-politischen Spannungen durch die 3-5-Entscheidung und die an der IPA vorbei laufende ETEP/EVP-Initiative durch David Tuckett. Und schließlich ist die Frage im Ausbildungskontext relevant, wie denn mit negativen Entscheidungen („on saying no“) bei Evaluationen umgegangen wird, welche komplexen Konflikte das bedeuten kann.
So taucht die ödipale Frage der Limitierung und des Nichtdazugehörens auf. Dass wir dieser Frage wenig Beachtung geschenkt haben, mag auch auf ein Konfliktpotential hinweisen, das mit der Frage und - unbewussten? - Tendenz zusammenhängt solche konfliktträchtigen Aspekte eher zu meiden. Hier könnten wir uns fragen: ist es möglich, in der IPV die Unterschiedlichkeit der Modelle zu untersuchen und zu vertreten, ohne unter Druck zu geraten, in einem Wettbewerb das „reine Gold der Psychoanalyse“ zu finden? Gibt es Möglichkeiten zur interessierten Kooperation, während wir gleichzeitig unsere Unterschiede genau betrachten, ohne dabei den „Kern“ der Psychoanalyse zu verlieren?
Wir freuen uns, wenn es möglich wird, unseren Trialog der drei Gesellschaften fortzusetzen, vielleicht in Präsenz am Rande einer EPF-Tagung.
Gisela Zemsch
Klaus Grabska, Susanne Loetz, Daniela Saalwächter, Florian Geyer
für die DPG, 13.06.2021