Sehr geehrte Frau Kreuzer-Haustein,
vielen Dank, dass Sie mit Ihrem Beitrag zum Thema Covid 19 eine Debatte innerhalb der DPG anregen möchten und darum bitten, eigene Gedanken mitzuteilen.
Ich selbst habe vor einigen Wochen an einem Seminar mit dem Titel „Corona – ein kollektives Trauma“ der Traumatherapeutin Michaela Huber teilgenommen, das auf große Resonanz gestoßen ist und damit gezeigt hat, wie groß der Bedarf eines Austausches unter PsychotherapeutInnen ist.
In der Diskussion mit den TeilnehmerInnen zeigte sich ein großes Spektrum der Meinungen und Haltungen, ohne dass es zu Angriffen infolge von Polarisierung und Spaltung kommen musste.
Ich war beeindruckt, dass es möglich war, auch Kritik an den Regierungsmassnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu äußern, ohne – wie es ja leider oft der Fall ist – automatisch in eine „rechte Ecke“ und als CoronaleugnerIn kategorisiert zu werden.
In meinen eigenen Behandlungen erlebe ich eine Vielfalt von Auseinandersetzungen, Meinungen, Haltungen meiner PatientInnen (und den damit verbundenen seelischen Verarbeitungsmechanismen), und mir war und ist es dabei immer wichtig, meine eigene Einstellung zur Angst vor dem Virus und der Einschätzung des Pandemiegeschehens immer wieder – auch je nach sich ändernden Kenntnissständen unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen – zu hinterfragen, um auch mit den verschiedenen Menschen in möglichst angemessener Neutralität umgehen zu können. Dabei finde ich es durchaus legitim, neben allen ubw. Prozessen auch den Blick auf Realitäten und Verhältnismäßigkeiten zu richten. Ebenso scheint es mir bedeutsam und gleichzeitig herausfordernd, Ungewissheiten zu ertragen in einer Gesellschaft, die sehr auf – vermeintliche – Sicherheit setzt.
Im letzten Teil Ihrer Ausführungen benennen sie die Gefahr der Verleugnung des Virus, welche ohne Zweifel zu abstrusen Theorien bis hin zu Verschwörungsideologien führen kann.
Der Text wirkt auf mich jedoch so, als gäbe es nur zwei sich gegenseitig ausschließende, also polarisierende Haltungen: die bedingungslose Anerkennung des Virus und seiner unheimlichen Gefährlichkeit auf der einen und dessen Verleugnung auf der anderen Seite.
Ich wünsche mir – wenn die gesellschaftspolitischen Dimensionen schon angesprochen werden – einen differenzierten Diskurs, indem Kritik ohne Diffamierungen und Pauschalisierungen zulässig wird, da wir es ja nicht nur mit einer Krankheitsbewältigung zu tun haben, sondern uns alle auch auseinandersetzen müssen mit weitreichenden Einschränkungen unserer Grundrechte und deren Auswirkungen, sowie den Kollateralschäden, also äußeren Realitäten, die unsere PatientInnen neben der Angst vor einer Erkrankung auch als Sorgen, Ängste und Nöte mit in unsere Praxen bringen.
Wenn es um Ängste geht, dann darf m.E. nicht außer Acht gelassen werden, dass diese von Anfang der Krise an in erheblichem Maße medial und politisch (s. u.a. das Papier „Wie wir Covid 19 unter Kontrolle bekommen können“, das im März 2020 im BMI entstand) befeuert wurden und werden. Auch das macht etwas mit uns BehandlerInnen und PatientInnen.
Unsere Ängste vor dem Virus und dessen Folgen sind vielfältig und sehr unterschiedlich, stellen jede BehandlerIn vor die Herausforderung, sich auch in der Gegenübertragung damit zu beschäftigen, wie sich das eigene, individuelle Angstlevel auf unsere Behandlungen auswirkt.
Ist die Angst so groß, dass sich manche von uns weitere Verschärfungen von Maßnahmen wünschen, könnten sich evtl. PatientInnen, deren Ängste mehr auf der Seite der Grundrechtseinschränkungen und der Kollateralschäden befinden, weniger angenommen fühlen, wenn sie Wege der Kritik und des Widerstandes suchen und/oder gehen. Und vice versa.
Der andere Mensch kann eben nicht nur dadurch, dass er/sie ein potentielle(r) Virusträger/-in darstellt, zur unheimlichen Bedrohung werden, sondern auch durch eine fremde, sprich andere, Einstellung wie ein feindseliges, gefährliches Objekt, das mit allen Mitteln bekämpft werden muss, erlebt werden. Die Auswüchse erfahren wir täglich: Hetze, Beleidigungen, Diffamierungen, Zensur von Kritik, Denunziationen, Ausgrenzung etc, etc., das ganze Ausmaß archaischer Abwehrmechanismen.
Unser gesellschaftliches Klima scheint sich rasant schnell dahingehend zu verändern, dass Sicherheitsmaßnahmen von staatlicher Seite den Spielraum des einzelnen – und damit z.B. auch den Rahmen in der psychoanalytischen Behandlung – in Frage stellen und zunehmend einschränken.
So sind auch unsere Standards angegriffen; eine dritte Position zu bewahren ist zunehmend erschwert. Auch angesichts drohender Virusmutationen (und/oder anderer Gefahren) werden bisher gültige Standards der Qualitätskontrolle aus der Notwendigkeit schnellen Handelns außer Kraft gesetzt (s. Teleskopierung der Impfstoffproduktion) und sollen es auch in Zukunft.
Höchst fragwürdige Definitionen von krank/gesund werden z. B. geschaffen, wenn ein „Corona Genesener“ per Definition eine(r) ist, die/der einen positiven PCR-Test hatte, der mindestens 28 Tage, aber höchsten 6 Monate zurückliegt.
Wie gesund ein Mensch ist, entscheidet er nicht mehr selbst, sondern ein Testergebnis.
Werden Notstandsverordnungen zur Regel, wird der Ausnahmezustand zur Normalität?
Das 2010 herausgegebene Buch von Juli Zeh „Corpus Delicti“ ist erschreckend prophetisch.
Herzliche Grüße
Dr. Bettina Steinberger, Hamburg, 2. Mai 2021
Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin/Psychoanalyse (DPG)