Liebe Frau Kreuzer-Haustein,
Wenn wir uns mit den Auswirkungen dieser Pandemie beschäftigen, ist es vielleicht sinnvoll zu unterscheiden zwischen den allgemeinen psychischen Auswirkungen dieser katastrophalen Situation auf uns alle (unsere Patienten genauso wie uns), die sich inhaltlich natürlich auch im Behandlungszimmer beobachten lassen, und den speziellen Auswirkungen auf die Form, den Rahmen unserer Therapien.
Was den ersten Punkt anbelangt, finde ich es wirklich eindrucksvoll, auf wie verschiedene Weise das Thema der Pandemie inhaltlich Eingang in die Therapien findet. Manche meiner Patienten reden über fast nichts anderes mehr als die Bedrohung durch Corona, die damit verbundenen Einschränkungen der persönlichen Freiheit und der sozialen Kontakte, Konflikte in Bezug auf unterschiedliche Handhabe von Regeln. Häufig lässt sich hierbei eine polarisierende Spaltung beobachten zwischen dem, was gut und richtig und dem was böse und falsch ist. Insofern fördern die Bedrohung und die Konfrontation mit dem „Unheimlichen“ sicherlich die Fixierung in einer paranoiden Position.
Am anderen Ende des Spektrums gibt es Therapien, in denen die Pandemie inhaltlich scheinbar überhaupt gar keine Rolle spielt - und eben dadurch doch wieder mitten im Raum steht als unsichtbares, verleugnetes Objekt. Ein Patient beschrieb die Sitzungen während der Therapie als „angenehme Bubble“, als Blase der Harmonie und Glückseligkeit, in der er sich endlich mal nicht mit Corona beschäftigen muss, als einen illusorisch aggressionsfreien Raum also.
Für eine andere Patientin ist der Kontakt zu mir seit einem Jahr fast der einzige reale, physische Kontakt und die Stunden sind dadurch für Sie fast zu etwas Heiligem geworden, verbunden mit Phantasien von exklusiver Intimität, aber auch großer Dankbarkeit, dass ihr zumindest das nicht weggenommen wurde durch die Pandemie.
Überall zeigt sich hierbei, wie unterschiedlich Patienten – abhängig von ihrer inneren Struktur – auf die Situation der Pandemie reagieren und ich finde Ihre Formulierung des Brennglases, das auch Übertragungsbewegungen verstärkt, hier sehr passend. Nicht nur für unsere Gesellschaft, sondern auch für unsere Therapien stellt die Pandemie eben auch einen Katalysator dar, der viele Dinge anregt.
Noch mehr als die Frage der Auswirkungen der Pandemie auf den Inhalt der Stunden interessiert mich aber die der Auswirkungen auf den Rahmen (der sich natürlich nie ganz vom Inhalt trennen lässt).
Das Weglassen des Händeschlages zur Begrüßung und zum Abschied, das Tragen von Schutzmasken, die uns nicht nur schützen, sondern auch vermummen, das Halten eines größtmöglichen Abstands im Raum - all das steht für eine Umkehrung davon, dass wir Nähe und den unmittelbaren Kontakt zum anderen auch zum psychischen Überleben brauchen - die Welt steht Kopf.
Die dramatischste Veränderung des Rahmens durch die Pandemie stellt für mich persönlich die Einführung der Videotherapie dar. Auch hierzu möchte ich ein paar Gedanken teilen.
Für mache meiner Patienten stellt diese spezielle Situation eine - Teils bedrohliche und Teils verführerische - Entgrenzung dar, für andere eine unüberwindliche Hürde. Paradoxerweise kann eben gerade durch die reale Entfernung und physische Trennung und den dadurch bedingten Schutz vor Grenzüberschreitung bei manchen Patienten mehr Nähe entstehen oder zugelassen werden. Eine Patientin gestand mir in einer Videositzung unter Tränen, ihr werde erst jetzt im entfernten Liegen klar, dass sie mir in den Stunden im Behandlungsraum immer nur etwas vorgemacht habe, eine Rolle gespielt habe, das gesagt habe, von dem sie angenommen habe, dass ich es von ihr hören wolle. Jetzt werde ihr zum ersten Mal bewusst, dass sie „nur eine Hülle“ sei, die man nach Belieben füllen könne. Diese Erkenntnis war von Einsamkeit und großem Schmerz begleitet, wurde dann aber zu einem Wendepunkt in der Therapie. Zum ersten Mal hatten wir beide das Gefühl, uns wirklich nahegekommen zu sein.
Ein anderer Patient stimmte einer Videositzung zu, da er sich in Quarantäne befand und erlebte diese – wie im Nachhinein klar wurde – geradezu traumatisch. Zum ersten Mal drang ich tatsächlich in seine reale Welt ein, in sein Wohnzimmer und er konnte nichts mehr vor mir verstecken. Paranoide Ideen waren die Folge, Phantasien, ich könne ihn ganz und gar durchschauen und wüsste alles über ihn, er war sich z.B. fast sicher, ich wüsste alles über den Inhalt der Therapie, die er vor einigen Jahren bei einer anderen Therapeutin gemacht hatte. Aber das Entscheidende hierbei war: Wie konnten im Nachhinein genau darüber ins Gespräch kommen und seine paranoiden Phantasien verstehen und bearbeiten. Ich denke, auch wenn dieses Erlebnis für diesen Patienten wirklich eine Zumutung war, letzten Endes hat es uns weitergebracht.
Vor dem Hintergrund dieser beiden Erfahrungen (und einiger anderer) wehre ich mich ein wenig gegen die Bewertung der Videotherapie als ein Angriff auf den analytischen Rahmen. Oder zumindest dagegen, in diesem Angriff nur etwas Schädliches zu sehen. Vielmehr ist es meiner Ansicht nach so, dass sie eine Realität darstellt, die da ist und mit der wir umgehen, über die wir reflektieren müssen und die wir (zumindest in manchen Fällen) eben auch als wertvolle Erkenntnisquelle nutzen können. Bei diesem Gedanken musste ich kurz auch an die historische Wandlung des Begriffes der Gegenübertagung denken vom behandlungstechnischen Hindernis hin zur wichtigen Erkenntnisquelle wie bei Paula Heimann.
Wir können uns unsere analytische Welt halt nicht backen, wie wir sie gerne hätten, und auch den Rahmen unserer Behandlungen nicht. Aber wir können und sollten uns immer bemühen, den analytischen Blick auf die Veränderungen nicht zu verlieren, denen der Rahmen manchmal zwangsweise unterliegt und uns hierüber auszutauschen. Vor diesem Hintergrund bin ich sehr dankbar für Ihre Initiative!