Rückblick auf die Tagung zum Gedenken an Herbert Rosenfeld, Nürnberg 1910 - London 1986
In Nürnberg, dem Geburtsort von Herbert Rosenfeld, fand am 05.10.2014 eine Tagung zu dessen Gedächtnis statt. Harald Kamm gibt einen lebendigen Eindruck über diese bewegende Tagung.
Ich erinnere mich noch gut an das schmerzliche Empfinden vor vielen Jahren, in der Einleitung zu den Seminari italiani von Herbert Rosenfeld als dem englischen Psychoanalytiker zu lesen. Wiederholt hatten wir innerhalb der hiesigen DPG-Arbeitsgruppe über eine Gedenkveranstaltung zu Ehren Herbert Rosenfelds nachgedacht. Doch bedurfte es des Anstoßes Marco Concis, um eine Realisierung auf den Weg zu bringen, für die sich zu unserer großen Freude die DPG und das Institut für Psychoanalyse (DPG) Nürnberg-Regensburg (IPNR), gewinnen ließen.
Doch ist das mit dem Erinnern und Gedenken so eine Sache. Wie gerne möchte man zu den "Guten" in der Geschichte zu gehören und bisweilen hat man den Eindruck, daß trotz permanenten Erinnerns eher eine Vergessenskultur hervorgebracht wird.
Herbert Rosenfeld, einer der wichtigsten Schüler Melanie Kleins (1882-1960), wurde am 2. Juli 1910 in Nürnberg geboren und wuchs in einer Familie der jüdischen Oberklasse als einziger Sohn mit drei Schwestern auf. Aufgrund seines grossen Interesses für die psychologischen Aspekte des Lebens verzichtete er darauf, in der Familienfirma zu arbeiten, und wandte sich dem Studium der Medizin zu, das er 1935 in Würzburg mit einer psychiatrischen Arbeit über “Die Folgen der multiplen Abwesenheiten in der Kindheit” erfolgreich abschloß. Wegen des durch das Nazi-Regime verhängten Arbeitsverbotsgesetzes emigrierte Rosenfeld unmittelbar nach Abschluss seines Studiums nach England, wo er 1936 in Glasgow die Prüfungen ablegte, die zur Anerkennung seines Doktortitels notwendig waren. Zwischen 1937 und 1942 machte er seine Ausbildung zum Psychotherapeuten an der berühmten Londoner Tavistock Klinik, wo er auch seine ersten psychotherapeutischen Erfahrungen mit psychotischen Patienten sammelte. Der Wendepunkt seines Lebens war seine Begegnung mit Melanie Klein, bei der er zwischen 1942 und 1945 seine Lehranalyse absolvierte und wodurch er Mitglied der British Psychoanalytic Society wurde.
1947 veröffentlichte Rosenfeld seinen ersten analytischen Beitrag, „Analysis of a schizophrenic case with depersonalization”, der bald zu einer wichtigen Pionierarbeit auf dem Gebiet der psychoanalytischen Behandlung psychotischer Patienten wurde. 1965 erschien Rosenfelds erstes Buch, „Psychotic states“, in dem er seine bisher veröffentlichten Beiträge auf diesem Gebiet sammelte – darunter sein Artikel von 1949 „Notes on the psychopathology of confusional states in chronic schizophrenia”, der als sein originellster Beitrag gilt. Erwähnenswert ist auch der Artikel von 1952 “Notes on the psychoanalysis of the superego conflict in an acute schizophrenic”.
Sein zweites wichtiges Arbeitsgebiet war die Behandlung narzisstisch gestörter Patienten, worüber er in seinem Artikel von 1964 “On the psychopathology of narcissism : a clinical approach” berichtete. Hierzu ist auch der Artikel von 1971 “A clinical approach to the psychoanalytic theory of the life and death instincts : an investigation into the aggressive aspects of narcissism” zu rechnen.
Einige Monate nach seinem plötzlichen Tod am 29. November 1986 wurde sein zweites Buch „Impasse and interpretation“ (London, 1987) veröffentlicht, das seine wichtigsten Beiträge der letzten 20 Jahre enthält – und das auf Italienisch 1989 und auf Deutsch 1993 erschien.
Herbert Rosenfeld war nicht nur ein sehr guter Analytiker, Lehranalytiker und Dozent am Londoner Institut für Psychoanalyse, sondern auch ein sehr gefragter und erfolgreicher Redner und Supervisor in Nord- und Südamerika und in Deutschland, Italien und Frankreich.
Ausgerichtet wurde die Tagung im Grand Hotel Nürnberg, dem Ort, an dem im Geburtsjahr Herbert Rosenfelds 1910 die Internationale Psychoanalytische Vereinigung (IPV) gegründet worden war. Die Tagung war international besucht und fand gleichermaßen Interesse bei DPV- und DPG-Kollegen.
Ingo Focke hob in seinen einführenden Worten die Bedeutung dieser Tagung für die DPG hervor und verlas ein Grußwort Stefano Bologninis, in dem dieser die Veranstalter beglückwünschte, eines zu Unrecht vergessenen außergewöhnlichen Psychoanalytikers zu gedenken, dessen Bedeutung heute unterschätzt werde.
Martin Ehl, Vorsitzender des IPNR, schilderte das Aufkommen des Nationalsozialismus, so daß Herbert Rosenfeld in die Emmigration gezwungen wurde. Marco Conci stellte die historische Bedeutung Herbert Rosenfelds für die italienische und deutsche Psychoanalyse sowie die Entstehungsgeschichte der Tagung in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen.
Angela Rosenfeld, Gruppenanalytikerin und zweitälteste Tochter Herbert Rosenfelds, berichtete in ihrem Vortrag „My Father Herbert Rosenfeld, and beyond“ auf eine sehr persönliche und tief bewegende Weise von der Familiengeschichte, den Erfahrungen ihres Vaters, von glücklichen Jahren in Nürnberg, der erzwungenen Emigration, den Anfängen in England und psychoanalytischen Erfahrungen bei Melanie Klein und deren Umfeld. Sehr eindrücklich vermittelte sie, wie stark die Konzepte Herbert Rosenfelds, insbesondere seine Gedanken zum destruktiven Narzißmus, ihre Wurzeln in lebensgeschichtlichen Erfahrungen finden.
Claudia Frank erschloß als ausgewiesene Expertin Kleinianischen Denkens im Rahmen ihres Vortrags „Herbert Rosenfeld in Deutschland: Zur Verführbarkeit / Korrumpierbarkeit durch die Idealisierung destruktiver Elemente damals und heute“, Aspekte seines Denkens und ermöglichte uns, die Rezeptionswege und Bedeutung Rosenfelds in Deutschland nachzuvollziehen.
Franco De Masi, der Herbert Rosenfelds Seminare erlebt und unter dem Titel „Herbert Rosenfeld at Work: The Italian Seminars“ herausgegeben hat, gab uns im Rahmen seines Vortrages „Rosenfeld in Italy (1978-1985)”einen Einblick in italienische Traditionslinien, die mit dem Namen Herbert Rosenfeld verbunden sind. So betonte dieser die Rolle von Umgebungsfaktorren und legte großen Wert nicht nur auf Übertragungsaspekte sondern auch auf die analytische Beziehung, die er davon unterschied. Er wähnte sich nicht im Besitz einer psychoanalytischen Wahrheit: „Wenn die Wahrheit von Beginn an feststeht, gibt es keine Entwicklung.“
Der Nachmittag war der Gruppenarbeit gewidmet. So gab es die Möglichkeit, bei Franco De Masi und Claudia Frank im Rahmen eines kasuistischen Seminars die Arbeitsweisen beider Analytiker auf bereichernde Weise unmittelbar kennenzulernen, während in einer dritten Arbeitsgruppe gemeinsam mit Angela Rosenfeld die unterschiedlichen Bedeutungsaspekte dieser Gedenktagung zu Ehren ihres Vaters thematisiert wurden.
In einem abschließenden Plenum unter der Leitung Veronika Grüneisens wurde den Teilnehmern eine Möglichkeit gemeinsamer Reflexion geboten, um über den Tagungsverlauf und damit verbundene Erfahrungen nachdenken zu können.
Es ist gar nicht zu ermessen, wieviel wir, die deutschen Psychoanalytiker und die deutsche Psychoanalyse Menschen wie Herbert Rosenfeld verdanken, die jeglichen Grund gehabt hätten, nie mehr einen Fuß auf deutschen Boden zu setzen, und doch scheuten sie sich nicht. Ulrike May schrieb mir im Vorfeld dieser Tagung: »Die ganze Eigenart Rosenfelds kommt ja, wie ich finde, besonders heraus, wenn man ihn sprechen sieht und hört.« Ihn erleben zu dürfen, war uns jüngeren Analytikern wie vermutlich den meisten DPG-Analytikern nicht vergönnt. Angela Rosenfeld formulierte die Hoffnung, daß auch die schwerer erträglichen Gefühle unserer Begegnung zukünftig bearbeitbar würden, und sie empfand, ihren Vater nach Nürnberg zurückgebracht zu haben: “Ich bin sicher, er wäre hellauf begeistert gewesen, wenn er das erfahren hätte.”
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