Tagungs-Bericht
Vertraulichkeit und Veröffentlichung – ethische und praktische Dilemmata in Psychoanalyse und Forschung, 12.10.2019 , Frankfurt/Main, SFI
Wenn Psychoanalytiker über Patienten sprechen und schreiben, haben sie mit einem Paradox zu tun, dem im Rahmen einer eintägigen Tagung auf anregende Weise nachgegangen wurde. Das Sigmund-Freud-Institut und die Zeitschrift „Psyche“ hatten mit Unterstützung des Klett-Cotta-Verlags zum Thema „Vertraulichkeit und Veröffentlichung“ eingeladen und damit interessante Fragen und vor allem Widersprüche aufgeworfen:
Wie lässt sich im Zeitalter der digitalen Kommunikation mit den notwendigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen einerseits, und dem andererseits notwendigen Vertrauens- und Persönlichkeitsschutz adäquat umgehen, im klinischen Handeln, im fachlichen Austausch und in der Forschung? Es wurde deutlich, dass es für diese Widersprüche und Paradoxien keine einfache
(Er-)Lösung gibt. Die Tagung eröffnete vielmehr einen „Denkraum“, in dem unterschiedliche Aspekte dieses Spannungsfelds ausgelotet wurden, von denen ich einige nachzeichnen möchte.
Die ersten beiden Referenten gingen den gegenläufigen Bewegungen als Agens der Psychoanalyse nach. Johannes Picht („Das Private und seine Erforschung“) verwies auf die Geschichte der Konstitution des Subjektes. Ein sich nach außen abgrenzendes, als Einheit repräsentierendes Individuum, ausgestattet mit Vernunft, Wille und Verantwortung, mit Anspruch auf Autonomie und mit dem Recht auf einen „privaten Innenraum“, Geheimnisse – sei ein historisch noch nicht sehr altes Gebilde. Die Erforschung des Inneren des Subjekts war schon immer mit der Absicht der Beherrschung, Beeinflussung verbunden, u.a. in der Psychologie. Picht verdeutlichte am Beispiel der psychoanalytischen Grundregel – der freien Assoziation - wie die Psychoanalyse einerseits einlädt, „alle Grenzen zu öffnen“ – gleichzeitig durch den Rahmen Grenzen setzt, ein Innen – Außen schafft. So gesehen vollziehe die Psychoanalyse die quasi räumliche Trennung im Individuum im Konzept nach. Kommunikation und Individuation sind – auch – Gegenspieler. Aus einer solchen Perspektive bedroht die Grundregel die Ich-Grenzen – der Innenraum gerät potentiell in Auflösung. Ein Angriff auf die das Individuum konstituierenden Grenzen, der wiederum durch den bergenden Rahmen im Dienste einer (Re)-Individualisierung steht. Ein weiteres Paradox ergibt sich daraus, dass einerseits Psychoanalyse nur in strenger Vertraulichkeit möglich ist, anderseits als Gegenstand wissenschaftlicher Erforschung ohne Veröffentlichung nicht denkbar ist.
Jürgen Hardt („Juristische und ethische Dilemmata der Veröffentlichung klinischer Falldarstellungen“) ging dem Begriff der Diskretion nach. Ursprünglich ein moralisches Regulativ eines Umgangs miteinander, der die Grenzen des Anderen berücksichtigt, verlange Psychoanalyse einerseits grenzenlose Indiskretion (Grundregel) – bei gleichzeitiger Zusicherung absoluter Diskretion. Diskretion verstanden als Tugend der Unterscheidung, verweise wiederum auf den notwendigen Respekt vor der Einzigartigkeit des anderen und eine Toleranz für „Nicht-Wissen“, d.h. auszuhalten, sich und den anderen eben nicht ganz „erkennen“ zu können. Das Vordringen in die Tiefen einer Person verlange den höchsten Vertrauensschutz. Das psychoanalytische Paar bilde „eine Dyade, die einen sicheren Container braucht, der keine Intrusionen und keine Lecks verträgt“. Das ist nicht selbstverständlich – sondern muss immer wieder errungen werden. So war das mit der Teilnahme am Versorgungssystem durch die Kassen verbundene Gutachterverfahren Gegenstand kontroverser Diskussionen. Es wurde auf der einen Seite als Progression im Sinne der Einführung eines Dritten und Erweiterung des reflexiven Raumes, auf der anderen Seite als unzulässiger Übergriff und „Verrat“ am Patienten wahrgenommen. Potentielle staatliche Zugriffe gingen z.B. mit der Novellierung des BKA-Gesetzes einher, das im Zshg. mit Terrorismusverdacht das „heimliche“ Abhören, Ausspionieren Verdächtigter und deren Umfeld ermöglicht. Erst eine Beschwerde gegen das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht (Jürgen Hardt, u.a.) konnte die Notwendigkeit eines z.B. der Seelsorge gleichen Schutzes für Psychotherapie erfolgreich verdeutlichen – als Schutz des „Kernbereichs privater Lebensführung“, der in der Psychotherapie offen gelegt wird und damit berührt ist. Schweigepflicht ist heute in der Berufsordnung und im Strafgesetz verankert, Verstöße können geahndet werden. Hinsichtlich der Frage der notwendigen Diskretion bei Veröffentlichungen findet eine zunehmende Auseinandersetzung mit tauglichen Leitlinien statt: z.B. Empfehlungen des Ausschusses für Vertraulichkeit der IPA (IPA-Homepage), eine AG der DGPT arbeitet derzeit an Empfehlungen. Entbindung von der Schweigepflicht, Anonymisierung – besser „Unkenntlichmachung“ des Pat. für andere sind unerlässlich, Fachverlage beschränken den Zugang auf eine Fachöffentlichkeit. In Zeiten des Internets ist dies jedoch ein durchlässiger Schutz, das Risiko, dass Patienten sich wiedererkennen – oder erkannt werden – größer. Letztlich zeigen sich diese Maßnahmen als Kompromisse, die eine kontinuierliche Auseinandersetzung erfordern.
Heinz Weiß fand in seinem klinischen Vortrag auf die Frage „Vertraulichkeit und Veröffentlichung – löst der ‚informed consent‘ die Probleme in Übertragung und Gegenübertragung?“ eine klare Antwort: nein. Der „informed consent“ – d.h. Aufklärung und schriftliche Einwilligung des Patienten über Rahmen, Zweck und Inhalt der Veröffentlichung - ist eine rechtliche Absicherung, „Beruhigung“, berücksichtigt jedoch komplexe emotionale Dynamiken, die mit einer Veröffentlichung einhergehen nicht. Er birgt das Risiko, die Verantwortung an den anderen – Patienten – abzugeben, die jedoch in einer asymmetrischen Beziehung allein beim Psychoanalytiker liegt. Veröffentlichung kann förderlich, als Fortschritt oder auch Antun erlebt und fantasiert werden. Narzißtische Gratifikationen und paranoide Ängste spielen bei beiden, Psychoanalytiker und Patient eine Rolle: vermehrte Zuwendung, sich zeigen – gesehen werden – kann lustvoll sein, ebenso als Bloßstellung, Angriff erlebt werden, mit Scham, Angst vor Demütigung, Beschädigung verbunden sein, mit Schuldgefühlen und Rachefantasien. Auch der Psychoanalytiker macht sich angreifbar. Auf Seiten des Patienten spielen Bemächtigungsfantasien durch den Psychoanalytiker, aber auch sich des Inneren des Psychoanalytikers zu bemächtigen durch den Einblick in dessen Sichtweise, Erleben eine Rolle. Wir sollten die eigenen Motive hinterfragen: warum gerade dieser Fall? Die Auswahl kann Ausdruck narzisstischer Fantasien sein, bw/ubw Wünschen, etwas Beunruhigendes vertieft zu verstehen, sich aus Verstrickung zu lösen oder auch Wiedergutmachungswünschen folgen. Die Entscheidung kann nur auf dem Hintergrund der jeweiligen Beziehungsdynamik, Übertragung und Gegenübertragung verstanden und durchgearbeitet werden. Wir müssen letztlich das Alleinsein damit aushalten.
Fortgeführt wurden diese Überlegungen von Sylvia Zwettler-Otte entlang von drei Fragen, die wir uns stellen können: was dürfen wir/nicht?; was wollen wir/nicht?; was sollen wir/nicht? Dabei verweist das „dürfen“ – Über-Ich-bestimmt - eher auf Anpassung unter externe Maßstäbe, wie z.B. der informierte consent im Rahmen einer Tendenz zur „Absicherungsmedizin“ den Fokus auf den Schutz des Behandlers verschiebt, der die Verantwortung scheinbar abgibt – und damit den Standpunkt der Einfühlung in den Patienten verlässt. „Wollen“ und „Sollen“ fragen eher nach inneren Kategorien der Psychoanalyse. So gibt es einerseits ein berechtigtes Interesse der Gesellschaft auf Einsicht in Prozesse der Behandlung, die von ihr finanziert werden, deren Evaluation. Die daraus resultierende Abhängigkeit kann wiederum die psychoanalytische Haltung beeinflussen. Die Psychoanalyse selbst hat ein Interesse an ihrer Erforschung und öffentlichen Vermittlung – um sich im Feld der Seelenkunde/Heilkunde zu positionieren. Doch was können dem Gegenstand angemessene Parameter/Methoden zur Erforschung und im wissenschaftlichen Diskurs sein – allein die Einzelfallforschung?
Weitere Beiträge widmeten sich der Problematik im Bereich der Forschung. Katarina Busch stellte ethische Leitlinien und Probandenrechte im Bereich der qualitativen Sozialforschung dar: freiwillige Teilnahme, Aufklärung/Information, vertrauliche Behandlung der Daten, Wahrung der Persönlichkeitsrechte des Probanden, das Prinzip der Nicht-Schädigung/Aufklärung über Risiken. Was den Wissenschaftler jedoch nicht von der Notwendigkeit einer kritischen Reflexion seines Tuns enthebt. Sozialforscher haben z.B. kein Zeugnisverweigerungsrecht. Anonymisierung/Pseudonymisierung reicht im Zeitalter sozialer Netzwerke zum Persönlichkeitsschutz nicht aus. Ersetzen von Daten durch Äquivalente und Generalisierung von Informationen bergen den Nachteil eines Verlusts von Diversivität („white washing“). Im Vorrang des Probandenschutz vor wissenschaftlicher Erkenntnis kann es notwendig sein, sich von interessanten Aspekten eines Falls zu trennen. Ferdinand Sutterlüty verdeutlichte auf dem Hintergrund der Feldforschung die Schwierigkeit, ethischen Regeln gerecht zu werden und vertrat die These: „wer sich als Forscher ins Feld begibt, sollte sich nicht der Illusion hingeben, moralisch sauber wieder rauszukommen“. Forschende bringen Machtbeziehungen ein und sind selbst in diese eingebunden. Sie verhalten sich strategisch, z.B. hinsichtlich der Informationspolitik im Feld, um Forschungsergebnisse nicht zu gefährden. Art und Ausmaß der Informationen sind abhängig von der Forschungsfrage – sie beeinflussen Probanden und Ergebnisse. Und: „wir bleiben immer etwas schuldig, für das, was wir bekommen haben“. Susanne Döll-Hentschker („Anonymisierung und wissenschaftliche Wahrheit in der Forschung“) stellte zum Abschluss die Forschungsarbeit in der psychoanalytischen Hochschulambulanz vor, damit verbundene Maßnahmen zum Datenschutz, Aufklärung, Einverständnis und Widerrufsrecht der Teilnehmer. Am Beispiel des Transkripts der ersten Minuten eines Erstinterviews wurde deutlich, wie auch ohne Kenntnis biographischer Daten ein psychodynamischer Prozess nachvollziehbar wird. Im Verlauf der Tagung wurden wiederholt konkrete Überlegungen zum Persönlichkeitsschutz diskutiert und deren Kehrseiten: wie die Beschränkung auf Vignetten – statt ausführlichen Falldarstellungen; Beschränkung hinsichtlich konkreter Daten/Fakten überhaupt – statt dessen Fokussierung auf den Prozess, Dynamik von Übertragung und Gegenübertragung in der Darstellung. Bei der Ersetzung personenbezogener Daten sollte als Maxime gelten: der Patient sollte sich im Material wiedererkennen können – jedoch andere nicht. Doch wo wird Verhüllung zur Verfälschung? Schon die Auswahl des Materials ist eine Deutung. Wir sind zum klinischen Austausch auch auf Details angewiesen, Interpretationen müssen an Hand des vorgestellten Materials nachvollziehbar sein. Letztlich entkommen wir den aufgezeigten Dilemmata nicht. Drum möchte ich mit einer Anregung von Zwettler-Otte schließen: vom Fort-Da-Spiel des Kindes zu lernen – mit Abwesenheit, Unzulänglichkeiten umzugehen.
Birgit Pechmann, Wiesbaden, 3.11.2019