Bericht zur Tagung „100 Years of Psychoanalytic Training (1920-2020)“ vom 8.-9. Februar 2020 in Berlin
Anlass dieser Tagung war die Gründung des Berliner Psychoanalytischen Instituts, des ersten überhaupt, vor 100 Jahren, die wesentlich mit Karl Abraham als inhaltlicher Leitfigur und Max Eitingon als Organisator und Mäzen verbunden war.
Das Tagungsprogramm fokussierte auf die damit verbundene Systematisierung der psychoanalytischen Ausbildung, deren dreiteilige Grundstruktur aus Lehranalyse, Behandlung unter Supervision und theoretischen Seminaren seitdem als „Eitingon-Modell“ bekannt ist und die Referenz auch für Ausbildungsmodelle darstellt, die in der Folge davon abweichen (wollen). Die Tagung war ausdrücklich international angelegt, fand durchgehend auf Englisch statt (mit Übersetzungen der Vorträge und Diskussionsbeiträge) und wurde im Langenbeck-Virchow-Haus auf dem Gelände der Charité an einem Ort ausgerichtet, der als schöner, klassischer Hörsaal ästhetisch die Tradition der Medizin in Berlin anklingen ließ.
Das Programm wurde ergänzt durch eine Reihe von künstlerischen Veranstaltungen, hochkarätigen Führungen durch die Geschichte der Psychoanalyse in Berlin und nicht zuletzt durch organisierte Einladungen in Privatwohnungen am Samstagabend, die dem persönlichen Aspekt der Frage, wie die Psychoanalyse weitergegeben wird, einen Raum gaben. Am Vorabend hielt, wenige Meter vom Tagungsort entfernt, Ulrike May die diesjährige Karl-Abraham-Vorlesung, einen hochkarätiger Vortrag, der eine Art inoffiziellen Auftakt darstellte und während der Tagung präsent blieb, da sie über die Weichenstellungen innerhalb der psychoanalytischen Theorie genau der Jahre ab 1920 sprach: die Verschiebungen der ursprünglichen Freud’schen Auffassung der oralen und analen Aggression, die dann insbesondere bedeutsam wurden für die parallele Verschiebung des Zentrums der psychoanalytischen Bewegung von Berlin nach London.
Das eigentliche Tagungsprogramm begann am Samstag mit einem Vortrag des Berliner Psychoanalysehistorikers Michael Schröter, der kenntnis- und detailreich die Geschichte des Berliner Instituts ab 1920 und insbesondere die Entwicklung des ersten Ausbildungsmodells nachzeichnete. Anschließend widmeten sich die Vorträge den weiteren Entwicklungen in den verschiedenen Ländern, historisch beginnend mit Österreich/Wien (Thomas Aichhorn), dann Großbritannien/London (Denis Flynn) und Frankreich (Christian Seulin), wo die Geschichte der Ausbildung eng mit den vielfältigen Spaltungen der Gesellschaften und der Entwicklung eines eigenen französischen Modells verbunden ist.
Die Reihe setzte sich nach der Mittagspause mit dem Vortrag von Orna Ophir über die Entwicklung in Amerika fort, die sie als „Mikrogeschichte“ exemplarisch anhand des Schicksals der in Wien ausgebildeten Sozialarbeiterin Caroline Newton erzählte und damit auf die wesentliche Spaltung zwischen Nordamerika und Europa auf dem Terrain der sog. „Laienanalyse“ fokussierte.
Marcela Bouteiller sprach dann über Lateinamerika, v.a. Argentinien und Brasilien, womit sie leider das von der IPA inzwischen als drittes anerkannte Modell in Uruguay nicht ausführlicher darstellte, das auch überhaupt in den Diskussionen der Tagung kaum eine Rolle spielte.
Die Reihe endete mit Ingo Fockes Beitrag über die weitere Entwicklung in Deutschland, vor allem die Spaltung und Wiederannäherung der beiden Fachgesellschaften als Folge der Zeit des Nationalsozialismus. Hier wurde im Programm dann doch ein gewisser Schwerpunkt auf Deutschland gelegt, wo die hundertjährige Geschichte auch der Ausbildung einen tiefen Einschnitt durch den Nationalsozialismus bedeutete, dem ein langer Prozess der Verarbeitung folgte und von dessen Erfolg vielleicht gerade die Tagung selbst, die (wieder) international besucht wird, Zeugnis ablegen soll.
Der Tag wurde abgerundet durch ein Panel mit allen Vortragenden und einer vielfältigen Diskussion, in der die Teilnehmer u.a. immer wieder die Spannung zwischen dem Eitingon- und dem französischen Modell aufgriffen, das eine gewisse größere „Freiheit“ der Ausbildung durch eine von dieser klarer getrennte Lehranalyse verspricht – was andererseits auch skeptisch und als Idealisierung gesehen wurde, vor allem im Hinblick auf die dann zentrale Stellung der Supervisoren.
Der zweite, kürzere Tag brachte einen Wechsel der historisch-geographischen Perspektive zu einer insofern systematischen, als nun die drei Säulen des Eitingon-Modells in eigenen Vorträgen untersucht wurden, was etwas formal und gewollt erschien und so vielleicht (neben dem lang gewordenen Samstagabend) dazu beitrug, dass die Spannung der Auseinandersetzung am Sonntag etwas nachließ. Eike Hinze sprach über die Lehranalyse, stellte ihre historisch gewachsene Länge und erweiterte Funktion dar und deutete die Frage an, ob die gegenwärtige Struktur Kreativität und Weiterentwicklung noch immer fördert oder bereits auch hemmt. Gisela Zemsch stellte die Konfliktlinien um die Supervision dar: „Kontrolle“ oder „Supervision“, die weiter fortbestehende „teach-or-treat“-Kontroverse und die Bedeutung theoretischer Orientierungen des Supervisors für den Prozess. Eva Schmid-Gloor beschäftigte sich schließlich mit der Lehre der Theorie und u.a. der Frage, wie sich im- oder explizite Lernziele in der Geschichte der Ausbildung verändert haben. Wieder schloss ein Panel diesen Teil und damit die Tagung insgesamt ab, diesmal nicht mit den vorherigen Vortragenden, sondern mit Serge Frisch und Angelika Staehle als Vertreter der international institutionalisierten Ausbildung sowie Artur Sousa, der als Vertreter von IPSO die Perspektive der Ausbildungskandidaten vertrat.
Frank Dirkopf, Berlin