von Wulf-Volker Lindner
Am 2. Mai 2018 feiert der Deutschlehrer, Schriftsteller, Essayist und Übersetzer Georges-Arthur Goldschmidt, Träger des Sigmund – Freud - Kulturpreises 2015 von DPG und DPV, in Paris seinen 90. Geburtstag. Dazu gratulieren wir herzlich.
Mit Dankbarkeit erinnern wir uns daran, was wir Psychoanalytiker von ihm, dem psychoanalytischen Laien, über die Beziehung von Sprache und Psychoanalyse durch die Lektüre seiner beiden Bücher „Als Sigmund Freud das Meer sah. Freud und die deutsche Sprache“ (1999) und „Freud wartet auf das Wort. Freud und die deutsche Sprache II“ (2006) und seine unkonventionellen, lebendigen Vorträge gelernt haben.
Es war Anfang der 1950er Jahre. Georges-Arthur Goldschmidt verbrachte einige gemeinsame Nachmittage mit französischen Psychoanalytikern. Man wollte, nachdem auch in Frankreich die Psychoanalyse während des II. Weltkriegs weitgehend zu existieren aufgehört hatte, wieder zu ihren Wurzeln zurück und traf sich, um Sigmund Freuds schmale, aber gewichtige Schrift „Die Verneinung“ (1925) ins Französische zu übersetzen. Dieser Versuch scheiterte, nicht nur weil der Kreis zu groß und seine Mitglieder zu unterschiedliche Auffassungen hatten. Man scheint schon bei der Übersetzung eines zentralen Begriffs der Psychoanalyse “Trieb“ / „pulsion“ Probleme bekommen zu haben. In der Schrift ‚Die Verneinung’ geht es gerade darum zu verstehen, warum das Unbewusste nur über Abwehr und Widerstand in entstellter Form bewusst werden kann. (1925, GW XIV)
So brachte Georges-Arthur Goldschmidt in Erfahrung, wie das Unbewusste ausschließlich seinen Weg zwischen den Worten finden muss. (2006, S. 106) Später formuliert er: „Freud ist der Übersetzer par excellence, da seine ganze Arbeit auf das Sichtbarmachen dessen gerichtet ist, was sich der Sprache entzieht oder ihr Widerstand leistet, was nicht durchkommt und sie eben dadurch als Sprache kennzeichnet…. In diesen Zwischenräumen, in den Zonen zwischen den Wörtern setzt Freuds Arbeit an, und ohne diesen Ansatz wäre sein Text bloß ‚wissenschaftlich’ und sterbenslangweilig. Wenn der Sinn im Wort festsitzt, ist die Welt zu Ende, und dem entkommen die Sprachen, weil sie nur die ‚Finten’ des Sprechens sind.“ (2006, S. 157f., 160)
Es ist die Aufgabe jeder Sprache, einen Ausdruck für triebhafte Prozesse zu finden. Jede Sprache findet eine andere Lösung. Alle Sprachen aber bilden einen Zugang zum Unbewussten und eine Bewältigung aus. Dem Übersetzer fällt auf, dass die Sprachen mit dem Unbewussten in verschiedener Weise in Verbindung stehen. Und deswegen verraten sich in den Sprachen unterschiedliche Abkömmlinge des Unbewussten.
Was Georges-Arthur Goldschmidt in den Räumen zwischen Deutsch und Französisch entdeckt hat, kann man beim Lesen der erwähnten beiden Bücher erleben: Wie man manchmal zwischen den Sprachen „zappelt“ und wie unmöglich es sein kann, das, was die eine Sprache sagt, in die andere zu übersetzen. Es ist, als wolle man einen Körper seines Körpers entkleiden. (2008, S. 26,29) Aber dabei ist auch zu entdecken, wie das Nachdenken im Zwischenraum der Sprachen erst erschließt, wie die eine und wie die andere Sprache spricht, wie ähnlich und wie unterschiedlich ihre Wortvorstellungen sein können und was die Sprachen sprechend verschweigen und verschweigend zum Ausdruck bringen.
Georges-Arthur Goldschmidt wurde 1928 als Jürgen-Arthur Goldschmidt in Reinbek bei Hamburg geboren. Die jüdischen Urgroßeltern hatten sich taufen lassen. Die Familie gehörte zur evangelisch-lutherischen Gemeinde in Reinbek.
1933 begann die Verfolgung durch die Nazis. Der Vater, Dr. jur. Arthur Goldschmidt, verlor als Oberlandesgerichtsrat seine Arbeit am Landgericht. 1935 etablierten die Nationalsozialisten mit den Nürnberger Rassegesetzen ihre antisemitische Ideologie. Die Ausgrenzung begann. Auch die Kirchengemeinde schützte sie dagegen nicht, obwohl der Vater in Lektor war. Im Gegenteil: Der Reinbeker Pastor machte mit. Der kleine Jürgen-Arthur Goldschmidt durfte nicht mehr in den Kindergottesdienst.
1938 beschloss der Vater, die beiden Söhne zuerst nach Italien, später dann nach Savoyen zu schicken, wo sie versteckt wurden und schließlich unter ständiger Gefahr überlebten. (s. „Über die Flüsse“, 2003) 1942 wurden alle „nichtarischen“ Christen aus der schleswig-holsteinischen Landeskirche ausgeschlossen. Der Mutter, die im Juni 1942 verstarb, wurde die kirchliche Beerdigung verweigert. Im Juli 1942 kam der Vater ins Konzentrationslagernach Theresienstadt, wo er als Seelsorger für seine Mit - Häftlinge arbeitete. Er überlebte und kehrte zurück und engagierte sich beim Wiederaufbau. 1947 starb er in Reinbek.
Die Notwendigkeit, für das eigene Schicksal Worte zu finden
- in Sicherheit gebracht, aber weggegeben, vielleicht sogar als Strafe für nicht zu unterdrückende kindliche Triebhaftigkeit,
- von Fremden beschützt, aber weiterhin durch triebunterdrückende Erziehung und Strafrituale bedroht, führte Georges-Arthus Goldschmidt zu der Entdeckung, dass er eine doppelte Übersetzungsarbeit leisten musste: vertikal zwischen dem (eigenen) Sprachlosen und den Wörtern und horizontal zwischen dem Deutschen und dem Französischen.
Nach der Befreiung blieb Georges-Arthur Goldschmidt in Frankreich und arbeitete als Deutschlehrer, Essayist, Schriftsteller und Übersetzer von Goethe, Kafka und Handke. Seine Veröffentlichungen sind zahlreich.
Diese Zwischen – Existenz ist der kreative Sprach – Raum von Georges – Arthur Goldschmidt. Ihm verdanken seine mutige und offene Auseinandersetzung mit dem Unbewussten, dem eigenen und von uns allen.
Literatur:
Georges-Arthur Goldschmidt:
- Die Absonderung (1991)
- Die Aussetzung (1996)
- Als Freud das Meer sah. Freud und die deutsche Sprache (1999, französisch: Quand Freud voit la mer – Freud et la langue allemande 1988)
- Über die Flüsse (2003, französisch: La traversée des fleuves 1999)
- Freud wartet auf das Wort. Freud und die deutsche Sprache II (2008, französisch: Quand Freud attend la verbe. Freud et la langue allemande II 1996)
- Ein Wiederkommen (2012, französisch: L’Esprit de retour, 2011)
- Der Ausweg (2014, französisch: Les recours 2005)
- Gerettet, aber auf Widerruf befreit! Unveröffentlichtes Manuskript, 2015
Sigmund Freud:
- Die Verneinung, GW XIV, 1925
Leila Beka-Focke und Wulf-Volker Lindner:
- Laudatio auf Georges-Arthur Goldschmidt zur Verleihung des Sigmund Freud Kulturpreise 2015 in Berlin, unveröffentlichtes Manuskript