„Schwarz/Weiß – Mechanismen der Diskriminierung und Radikalisierung in Gesellschaft, Sprache und Behandlungsraum“.
Ringvorlesung des Instituts für Psychoanalyse der DPG, Frankfurt
Schwarz und Weiß: wie klein ist der Schritt vom Diskriminieren im Sinne von „trennen“ und „unterscheiden“ (so die ursprüngliche Bedeutung des lateinischen Verbs discriminare) hin zu Unterscheidung im Sinne von „Ungleichbehandlung“ oder gar „Abwertung“. Der Tendenz zu diskriminieren, kann sich niemand entziehen, sei es in den Medien, in der Sprache von radikalen Gruppierungen, aber auch in der psychoanalytischen Behandlung, letzteres entgegen dem Ideal der Neutralität in der psychoanalytischen Haltung. Und was macht die Anziehung von Radikalisierungstendenzen, wie z.B. in den rechtsradikalen Bewegungen, aus? In den Verbindungen von sprachlichen und sozialen Konstruktionen stößt man dabei zumeist auf eine wie auch immer geartete Identitätsthematik mit Teilhabe an imaginären Vorstellungen, die im Kern letztlich zumeist mit Allmachtsphantasien verknüpft sind, sei es auf eine Gruppe oder eine Führerfigur bezogen. Zu dieser Thematik sind im Rahmen der interdisziplinär ausgerichteten Ringvorlesungsreihe neben psychoanalytischen Überlegungen, sozialpsychologisch-historische, sprachwissenschaftliche und kulturell-sozialwissenschaftliche Zugänge zu Wort gekommen. Am 13.12.2019 referierte Frau Dr. med. Judith Ransmayr, Psychoanalytikerin in Wien, und u.a. Mitglied der „Neuen Wiener Gruppe / Lacan-Schule“ „Zum Genießen in den rechten Bewegungen: Über heimliche libidinöse Kräfte, die Neue und Alte Rechte zusammenhalten“.
Frau Ransmayr gab zunächst einen Abriss über das jüngst erschienene Buch „Gesellschaft des Zorns“ von Cornelia Koppetsch. Hierin wird der Aufstieg der Rechtspopulisten als Reaktion auf epochale Umbrüche beschrieben, die sich als Kampf um die Verteilung von gesellschaftlichen Ressourcen, und dabei insbesondere um Macht, soziale Geltung, Deutungshoheit und Kultur, zeigt. Des Weiteren erörtert sie eine politische Repräsentationskrise. Die politischen Repräsentanten und Parteien erscheinen zunehmend homogen, mit der Folge, dass sich große Teile der Bevölkerung in Bezug auf die Gestaltung von Demokratie und Gesellschaft ausgeschlossen sehen. Die damit einhergehenden affektiven und identifikatorischen Prozesse bringen eine Spaltung der Gesellschaft mit sich, die mit der Bildung eins Bündnisses der Betrogenen einhergeht. Zudem erlebe das Subjekt im real existierenden Neoliberalismus seine Fragmentierung, da es u.a. sowohl Produkt als auch Kunde des eigenen Lebens sein soll. In Folge dessen ist das Subjekt mit eigenen Gefühlen von Entfremdung konfrontiert, deren Ursache dann aber nicht in Verbindung mit den erwähnten Umbrüchen gesehen, sondern „den Fremden“ zugeschrieben und überantwortet werden. Mit Begriffen wie „Überfremdung“ soll die eigene Entfremdung erklärt werden, einhergehend mit der Propagierung einer Nationalkultur mit einer einheitlichen kollektiven Nationalität. Gleichzeitig zu diesen Bestrebungen werde eine Opposition zwischen dem „Volk“ und der „Konsens-Elite“ konstatiert.
Mit Bezug auf Pierre Bourdieus Konzept des Sozialraummodells mit verschiedenen Kategorien der Angst vor bzw. Erfahrung von sozialem Abstieg ergebe sich zur Verteidigung von als legitim erachteten Vorrechten ein vertikaler Klassenkampf. Das heißt, im Sinne eines vertikalen Bündnisses zwischen konservativen Ober-, Mittel- und Unterschichten werden nicht die Reichen oder Mächtigen bekämpft, sondern diejenigen, die einem tatsächlich oder vermeintlich sozialstaatliche und aufmerksamkeitsökonomische Ressourcen streitig machen könnten. Diese individuellen Abstiegsängste nehmen die rechten Bewegungen einerseits in den Dienst ihrer Propagierung einer vorgeblich gerechteren vergangenen Gesellschaftsordnung. Und andererseits erlebt das Subjekt darüber Anerkennung und somit eine Form symbolischer Rehabilitierung. Affekte von Scham, Neid und Ohnmacht in Folge einer sozialen Deklassierung können damit in politische Gefühle umgewandelt werden. Gleichzeitig kann das Subjekt über die damit verbundenen kollektivitätsstiftenden Ressentiments Erniedrigungen und imaginäre Racheakte nach außen wenden. Dies werde ergänzt durch ein imaginäres Gruppenbewusstsein, gegründet auf der „wahren“ Zugehörigkeit und auf dem Anspruch der kulturellen Identität für sich selbst. Diese Wendungen können auch als Reaktion zur erlebten Aufkündigung und Auflösung von Bindungen und Gesellschaftsverträgen (sei es z.B. in der Arbeitswelt oder bei Partnerschaften) verstanden werden, wogegen die Bindungen an „Heimat“, „Volk“ oder „Nation“ mithin als naturwüchsig und unveränderlich erscheinen.
1. Ransmayr verbindet dann Norbert Elias’ Gedanken, dass Machtverlust einen de-zivilisierenden Effekt auf die Persönlichkeits- und Affektstruktur der Betroffenen habe, mit Lacans Vorstellungen des Genießens und Begehrens. Das Begehren stellt für ihn, im Sinne des Freud’schen Wunsches, das Streben im Unbewussten dar, das mit Eintritt in die symbolische Ordnung des Ödipuskomplexes letztlich unerfüllbar ist. Das Begehren des Menschen ist immer das Begehren des anderen, was einerseits heißt, dass wir das Begehren vom Anderen her erhalten, und andererseits, dass wir stets etwas anderes begehren. Demgegenüber setzt Lacan das Genießen als eine Befriedigung, die auf Zurückweisung der symbolischen Ordnung, und damit auch der symbolischen Kastration, beruht. Wenn nun die Anliegen und Bedürfnisse größerer Bevölkerungsgruppen von der Politik, sei es einer Partei oder Bewegung, nicht wahrgenommen und vertreten werden, bedeutet dies für das Subjekt libidoökonomisch ein mangelndes Begehren in dem Sinne, dass es kein Bergehren des Anderen gibt. Dann aber bleibt kein Grund mehr, an der symbolischen Ordnung festzuhalten und sein Selbstbild und seine Selbstachtung an der Befolgung entsprechender Gruppennormen auszurichten. Dies lässt das Niveau der Affektkontrolle und Disziplinierung sinken, und die Verführungskraft des Genießens unweigerlich steigen. Entlastung bieten Gestalten von autoritären, aber diese Normen verwerfende Instanzen. Damit geht auch die Verleugnung der Spaltung des Subjekts in ein Subjekt der Aussage und ein Subjekt des Aussagens einher, mit der Folge eines Beharrens auf dem Gemeinten, wie man es in den Medien häufig bei den Rechten beobachten kann. Ransmayr sieht daher in Koppetschs „Gesellschaft des Zorns“ die Identifikation mit und Organisation des Genießens im Sinne Lacans.
In Freuds „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ werden zwei Arten der Identifikation beschrieben: die Mitglieder einer Masse identifizieren sich lateral miteinander, und sie identifizieren sich mit einem Führer. Diese Position geht mit einer grandiosen Affektsteigerung und Denkhemmung einher, mit dem Führer-Objekt, das sich an die Stelle des Ichideals gesetzt hat. In dieser Position werden die eigenen aggressiven Vernichtungswünsche auf die jeweils „Anderen“, die Fremden und Überfremdenden projiziert. Diese Ausführungen ergänzt Ransmayr durch Lacans Konzeption des Diskurses des Kapitalisten. Lacan differenzierte zunächst vier Diskurse, die das symbolische Netz ermöglichen, das einen Raum zwischen den Subjekten eröffnet, soziale Bindungen knüpft und regelt. Im Diskurs des Kapitalisten fehlt die Position des Anderen, und das Subjekt verliert daher seine Verankerung im symbolischen Netz und ist dem Begehren des Kapitals unmittelbar und schutzlos ausgeliefert. Der Neoliberalismus ist sicherlich durch die Funktionsweise dieses Diskurses geprägt, der Züge von einer Entsubjektivierung, einer regressiv-aggressiven, auch sich selbst verschlingenden Oralität trägt. Dem fällt das Subjekt schlussendlich auch zum Opfer. Die Identifikation mit einem imaginären, allmächtigen Herrscher im Sinne Freuds Massenpsychologie bietet hierbei einen Ausweg.
Anschließend an diesen Vortrag mit sicherlich komplexen Argumentationslinien ergab sich eine angeregte Diskussion insbesondere um die angesprochenen Aspekte des Lacanschen Genießens. Diese machen die erhebliche Verführung von regressiv de-zivilisierenden Bestrebungen verständlich, sodass u.a. das Gewissen außer Kraft gesetzt ist. Und sie verdeutlichen die wechselseitige Beziehung der Abwehr von Scham und von Anerkennung von Verlust, sei es des eigenen oder beim anderen. Dies macht die häufig zu beobachtenden Argumentationsweisen von rechten Bewegungen verständlicher.
Daniela Saalwächter, Frankfurt