„Talking bodies, silent bodies“
Das British-German Colloquium fand dieses Mal vom 13. bis 15. Oktober 2017 in Edinburgh statt.
Das British-German Colloquium ist eine kleine, alle zwei Jahre stattfindende Tagung der vier Fachgesellschaften BPAS (British Psychoanalytic Society) ,BPA (British Psychoanalytic Association), DPV und DPG. Das diesjährige Thema war "Psychoanalysis with the body in mind- talking bodies, silent bodies" in Fortführung des Heidelberger Themas 2015 „Psychoanalysis with the body in mind – working on the ‚mysterious leap’ “
To keep something in mind würde ich übersetzen mit: etwas im Sinn behalten, die Wahrnehmung wach halten für etwas. To keep the body in mind verstand ich als das Bemühen, die Wahrnehmung für den Körper, das Körperliche, oder noch allgemeiner: das Körperlich-Sinnliche im analytischen Kontakt zu schärfen und in seiner Bedeutung zu reflektieren. Das Thema enthält die Aufforderung, den Körper nicht aus dem Blick zu verlieren, und sie scheint notwendig, denn, wie Ingo Focke in seinem Hauptvortrag abschließend sagte: obwohl „Körper kaum jemals stumm sein können“, sei es doch verwunderlich, „in welchem Ausmaß sie unbeachtet bleiben können“ .
In vier sehr dichten Hauptvorträgen, jeweils von einem kürzeren Vortrag kommentiert, haben Marina Perris-Myttas, Ingo Focke, Claudia Frank und Anne Amos zu dem Thema Stellung genommen. Ich hoffe, ihre Vorträge werden als Veröffentlichungen erscheinen, um ihre Gedanken in Ruhe studieren zu können. Drei der Texte wurden wegen des darin enthaltenen Fallmaterials wieder eingesammelt. Aus ihrer flüchtigen Präsenz während des Vorlesens sind mir nur allgemeine Eindrücke geblieben. Und das ist eigentlich interessant, denn es berührt das Zusammenspiel von mind and body. Das mind, das den in vielen Stunden sorgfältig erarbeiteten Text erfassen will, ist auf einen ausgeruhten Kopf, schnelle Auffassungsgabe, ein gutes Gedächtnis und einen bequemen Stuhl angewiesen. Oder eben auf die Möglichkeit, die Rezeption des Textes in der Zeit zu verlängern, durch Nachlesen des Manuskriptes. Vielleicht könnte man künftig theoretische Überlegungen und Fallvignetten auf verschiedenen Blättern drucken?
Die Vorträge unterschieden sich deutlich in Hinblick auf ihren Abstraktionsgrad. Marina Perris-Myttas Vortrag war eine glänzende, gelehrte Studie zu Freuds Begriff der libidinösen Ökonomie. Sie stellte ihr die Unterscheidung zwischen Soma und Body, Körper und Leib voran. Da auch Theoriedarstellungen eines „Körpers“ bedürfen, einer sinnlichen Anschaulichkeit, mit der sie sich in der Vorstellungswelt verankern, war mir von ihrem Vortrag vor allem der Glanz, aber sonst wenig in Erinnerung geblieben. Die Kasuistik von Claudia Franke dagegen konzentrierte sich auf die Beschreibung der Begegnungen mit ihrer Patientin. Sie vermittelte einen lebendigen Eindruck der Mühe, das Körperliche zum Sprechen zu bringen und des - auch in sieben Jahren - oft vergeblichen Ringens, mit dieser Pat. in Kontakt zu kommen. Pointiert wurde dies durch die Bemerkung, das Schweigen der Pat. habe in seiner Beharrlichkeit dem Schweigen von Beate Zschäpe während der 4 Jahre der gerichtlichen Verhandlungen geglichen. Daran knüpften sich in den späteren Diskussionen viele Emotionen, weil das Beispiel für die deutschen Teilnehmer unmittelbar evident, den britischen Zuhörer aber kaum bekannt war. Allen Vorträgen und Fallvignetten gemeinsam waren die Geduld und das Leiden der Analytiker gegenüber der Unzugänglichkeit der in den Körpern wortlos eingeschlossenen Gefühle ihrer Patienten.
Die Struktur der Tagung war bestimmt durch einen Wechsel von Vorträgen mit jeweils kurzer Diskussion, Treffen in Kleingruppen (gemischt aus Vertretern aller vier beteiligten Fachgesellschaften) und geselligem Beisammensein. Die Gespräche in den Kleingruppen wurden für mich zum Herzstück der Konferenz. Sie boten die Intimität, dem Thema in suchender Annäherung auf die Spur zu kommen, ohne sich durch unabgeschlossenes Nachdenken oder halbverstandene Theorie befangen zu fühlen. Es kamen persönliche Erlebnisse zur Sprache. Wie so oft bewunderte ich die britischen Kollegen für ihr Geschick, komplexe Sachverhalte umgangssprachlich auszudrücken und eine leichte lockere Atmosphäre zu schaffen, in der offener Austausch leicht fiel.
In unserer Gruppe kam zuletzt eine sehr grundsätzliche Dimension des mind-body-Verhältnisses zur Sprache: Was, wenn der Therapeut krank wird oder gar stirbt? Dies wäre der Extremfall der Körpergebundenheit unseres Denkens.
Dieser Extremfall greift das Urgestein analytischen Arbeitens an: die Forderung nach Abstinenz. Selbst bei festem Willen und großer Disziplin verrät unser Körper unser Befinden, zumal im Krankheitsfall. Dieser Extremfall verweist auf das intrikate Feld der physischen Präsenz unserer Körper in der analytischen Begegnung. Wie umgehen mit der Vielfalt an sinnlich-anschaulicher Mitteilungen des Körperlichen, des eigenen und dem des Patienten, der Körper, die eben nie schweigen? Darüber hätte ich mir mehr Austausch gewünscht. Es scheint aber, als ob gerade die Intimität des „Körperhaften“ in der Begegnung mit Patienten einen Wandschirm erfordert ähnlich dem des Gynäkologen, der die Entkleidung der Frau versachlicht, ent-erotisiert. Unser Wandschirm ist die Abstraktion, das Denken in Begriffen.
Warum taucht der Reichtum differenzierter Erfahrungen aus der Praxis immer erst im kleinen Kreis auf? Es ist vielleicht zu schambesetzt, sich mit dem eigenen körperlich-sinnlichen Erleben zu zeigen, weil dies unter dem Primat einer begrifflichen Kultur leicht zur Bloßstellung gerät. Eine künstlerische Art der „Mentalisierung“ tut sich mit dem Erfassen der body-Dimension und ihrer Umwandlung in mind vielleicht leichter als die psychoanalytische Theoriesprache. Wir waren in unserer Gruppe überrascht, wie viele von uns sich künstlerisch betätigten - singen, tanzen oder malen.
Eine künstlerische Gestaltungsform ist sicherlich auch das Ausrichten (festlicher) Geselligkeiten, und in diesem Sinn ist den Veranstaltern großes Lob auszusprechen. Allein die Wahl von Edinburgh als Tagungsort mit seiner Mischung von kühler Strenge und Liebenswürdigkeit, Tradition und junger, moderner Lebendigkeit, der Campus mit der altertümlichen Pollock Hall, in der wir tagten, - einem neugotisch verschnörkelten Bau, der Harry Potter Freude gemacht hätte, düster, aber behaglich. In einem derart auf wohltemperierte Intellektualität abgestimmten Raum ließ es sich gut denken, während draußen die fremdartige Schönheit der Landschaft, unter wechselnder, oft dramatischer Ausleuchtung immer wieder an die Kraft der Natur erinnerte. Das Essen war ausgezeichnet, kurzum, im Rahmen dieser freundlich-angenehmen Atmosphäre ließ es sich gut über body und mindnachdenken und miteinander in Kontakt kommen.
Bettina Hahm, München , DPG