Überraschend intim
Babette Saebisch (links) mit Stefano Bolognini
Ein großer Kongress zum Thema „Intimacy“
Ich hatte gerade erst eineinhalb Tage Zeit gehabt, mich an die große, mir noch fremde Stadt Buenos Aires ein wenig anzunähern, als bereits die nächste aufregende Erfahrung anstand: Mein erster IPV-Kongress, nachdem ich 2015, nur kurze Zeit nach dem Bostoner Kongress, in die IPV aufgenommen worden war.
Fast schon etwas unwillig, da noch ganz Touristin, und fremdelnd bei dem Gedanken, nun unvermittelt ‚arbeiten‘ zu sollen, fand ich mich am Dienstagnachmittag also zum Vorkongress ein – und mich selbst damit unversehens in einer überraschend kleinen Gruppe von rund zwanzig Kolleginnen und Kollegen wieder, mit denen ich über die nächsten zwei halben Tage ein detailliertes Stundenprotokoll einer Kollegin besprechen würde. Die so lebendig-sinnliche und neugierige Mentalität der südamerikanischen Gastgeber in Kombination mit dem englischen „you“ der gemeinsamen Kongresssprache stellten dabei schnell eine sehr bezogene und dichte Atmosphäre in der Diskussion her, die ich daher recht rasch als entängstigend und einladend erlebt habe. So fiel es mir überraschend leicht, mich als ‚IPV-Kongress-Debütantin‘ aktiv an der Arbeit der Gruppe zu beteiligen, womit ich im Vorfeld nicht in dieser Form gerechnet hatte, insbesondere, da an der Gruppe solch ‚psychoanalytische Schwergewichte‘ wie etwa ein ehemaliger IPV-Präsident teilnahmen. Mein Vorurteil nach dem bisher von KollegInnen Gehörten war denn auch gewesen: Du kommst auf einen nahezu unüberschaubar großen Kongress und kannst aus der zwanzigsten Reihe zumindest ‚Promi-Gucken‘ zelebrieren – alles darüber hinaus ist Glückssache. Nun aber entpuppte sich der argentinische IPV-Kongress zum Thema „Intimität“ für mich im Verlauf als Ganzes als Glückssache, und die prägende Erfahrung der ersten Vorkongress-Gruppe wurde für mich zu einer Art persönlichem Kongress-Untertitel: Überraschend intim!
So war denn auch das Thema der Tagung vor diesem Hintergrund besonders spannend, und ich konnte zahlreiche Facetten dieser Thematik in ganz unterschiedlichen Veranstaltungs-Formaten beleuchtet finden, wobei es neben den ‚großen‘ Hauptvorträgen und Panels, die natürlich ein deutlich zahlreicheres Publikum ansprachen, vor allem immer wieder die ‚kleinen‘ Veranstaltungen der Einzelvorträge oder der „small discussion groups“ waren, die ich besonders attraktiv fand und die mich zur Mitarbeit anregten. So zum Beispiel eine Veranstaltung über die originelle Frage nach der „Intimacy of writing fiction“, die neben einer spannenden Diskussion im sehr kleinen Kreis über das literarische Schreiben als einer anderen Art des Durcharbeitens und des libidinösen Engagements auch Gelegenheit bot, auf intellektuelle Tuchfühlung mit dem neuen IPV-Vizepräsidenten Sergio Nick zu gehen, der diese Diskussionsrunde moderierte; oder auch eine spanischsprachige Veranstaltung in Erinnerung an Horacio Etchegoyen, der ich zwar aufgrund der Sprachbarriere nur wie einer Art Lückentext folgen konnte, in der es aber für mich um so eindrücklicher war, wie sich die Intimität der Verbundenheit des – überwiegend südamerikanischen – Publikums dieser Runde mit dem verstorbenen Kollegen auch nonverbal mitteilte. Und auch die einzige deutschsprachig anberaumte Veranstaltung, ein Vortrag von Hemma Rössler-Schülein zur Frage „Warum so viel? So oft? Über Wirkung und Wirksamkeit von Intimität. Ein Beitrag zur klinischen Theorie der Stundenfrequenz“ war mit rund dreißig TeilnehmerInnen für mein Empfinden optimal besucht – erlaubte die Anzahl der TeilnehmerInnen doch zum einen, dass wir mit der Vortragenden in einem intimen Kreis sitzen konnten, und zum anderen, dass es auch hier die Gelegenheit gab, eine spannende, kontroverse Diskussion zumindest anzustoßen, die sich ganz um die Frage drehte, was für oder gegen die eine oder die andere Frequenzwahl sprechen könnte. Der Verlauf der Diskussion bestärkte mich dabei in meiner Überzeugung, dass mir – welche Frequenz auch immer im Einzelfall zum Tragen kommt – zentral für diese Diskussion erscheint, das psychoanalytische Nachdenken über Rahmen und Setting nicht aus pragmatischen Gründen zu suspendieren, sondern sich immer wieder dazu zu ermächtigen, alles in Frage stellen zu dürfen. Hier also: Nicht nur auf der einen Seite die bislang noch in Geltung befindlichen Vorgaben eines mindestens vierstündigen Analysierens im Eitingon-Ausbildungsmodell zu hinterfragen, sondern auf der anderen Seite ebenso minutiös die eigenen Motive für den Wunsch zu erforschen, von diesen Vorgaben abweichen (oder zumindest: entbunden sein) zu wollen.
Etwas, was sich bereits gut durchdacht und begründet anfühlt, immer wieder kritisch zu hinterfragen – ob bei sich selbst oder in den Analysen mit unseren PatientInnen – dies macht denn für mich auch den Kern meiner psychoanalytischen Haltung aus, und ich fand es im Austausch mit den KollegInnen aus so vielen Nationen und gesellschaftlichen Kontexten noch einmal einfacher, dieser Haltung nachzuspüren, da hier die Differenzen einerseits sichtbarer ‚auf dem Verhandlungstisch liegen‘, andererseits aber nicht notwendigerweise trennend schmerzen. In diese Gemeinschaft der Vielfalt nun auch auf der geschäftlichen Sitzung der Tagung noch einmal förmlich aufgenommen worden zu sein, war für mich ein ganz besonderer persönlicher Moment dieser Reise – ebenso wie es bewegend war, der Inauguration der ersten weiblichen IPV-Präsidentin, Virginia Ungar, beizuwohnen, deren Übernahme der Amtsgeschäfte in ihrer südamerikanischen Heimat im Publikum von ganz besonders beschwingter Stimmung begleitet wurde. Stefano Bolognini als Präsidenten zu verabschieden, den ich während meiner IPV-Ausbildung als Gastsupervisor kennenlernen durfte, fiel auf diese Weise etwas leichter – zumal man mit seinem Abschied als IPV-Präsident ja auch die Hoffnung verbinden könnte, dass er nun wieder um so freier für neue und andere gemeinsame Arbeitskontexte werden mag.
Die Intimität einer solchen psychoanalytischen Gemeinsamkeit war somit das, was mich auf diesem Kongress am meisten bewegt hat. Ich weiß nicht, ob ich schon einmal eine Tagung erlebt habe, deren Titel in dieser dichten Art und Weise unter so vielen Kolleginnen und Kollegen performativ wirksam geworden wäre – und ich spekuliere schon jetzt schmunzelnd, wie das wohl aussehen könnte, sollte 2019 in London unter dem Titel „The Feminine“ dasselbe geschehen.
Babette Saebisch, Frankfurt/M.