John hat die DPG auf ihrem Weg in die IPA von Ende der 90iger Jahre bis zur Aufnahme als Zweiggesellschaft der IPA 2009 unterstützt und gefördert. Seine Wortmeldung auf der Mitgliederversammlung der IPA in Nizza 2001 hatte damals die Anerkennung der DPG als Provisional Society maßgeblich gefördert. Er war die ganze Zeit Mitglied des Facilitating Committee der IPA für die DPG und des „Joint Steering Committee“ unter der Leitung von Annemarie Sandler. Wir bleiben ihm in tiefem Dank verbunden.
Unsere Verbindung war beidseitig, es war immer eine große Freude, sich zweimal im Jahr für einige Tage zu treffen, um sich den schwierigen institutionellen Aufgaben zu widmen. Wir haben uns zuletzt 2015 auf dem IPA-Kongress in Boston getroffen und dort etwas Zeit miteinander verbringen können.
Ich muss immer an seinen Humor und seinen Tiefsinn denken. Ich erinnere mich an eine gemeinsame Bahnfahrt vor etlichen Jahren. Ich hatte gerade ungefragt seinen großen, schweren Koffer in das Gepäcknetz gehievt, John war von kleiner Statur, als ich ihn sagen hörte: „Be careful, you can be sued for agism“ und für einen Augenblick erschrak ich - Eine verdichtete Einführung in die Diskriminierungsdebatte in den USA, die Europa noch nicht erreicht hatte. Aber es klang auch an, dass John ein „Rückkehrer“ war, ein Rückkehrer nach Deutschland in einem Eisenbahnabteil der deutschen Bahn, nachdem er als Kind einer jüdischen Familie aus Deutschland emigrierte. Seine Erfahrungen als Rückkehrer beschrieb er eindrücklich in seinem Beitrag „Zerbrechen und Unterbrechen“ auf dem IPV-Kongress 2007 in Berlin zum Thema „Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten“ , auf dem es vor allem um die Folgen des Holocaust für die Psychoanalyse ging. Sein Beitrag ist in der „Psyche“ 2007, Heft 4 nachzulesen.
John Kafka wurde am 2. 5. 1921 in Linz in Österreich geboren. Er erlebte den Aufstieg des Nationalsozialismus mit und setzte nach 2 Jahren am Gymnasium in seiner Heimatstadt seine Schulausbildung ab 1933 in Montbéliard und Nancy fort und machte sein Abitur in Clermont-Ferrand 1939. Nach einem kurzen Studium der Philologie in Bordeaux floh er 1940 zusammen mit seiner Mutter in die USA, wo er ganz von vorn unter schwierigen Bedingungen wieder neu Fuß fasste. Nach einem Militärdienst von 1944 bis 1946 studierte er Psychologie und Medizin in Chicago und Atlanta und absolvierte seine psychiatrische Weiterbildung an der Yale University, in New Haven. Seine psychoanalytische Ausbildung war am Washington Psychoanalytischen Institut von 1957 bis 1964. Er arbeitete mit psychotischen Patienten in Chestnut Lodge von 1957 bis 1967 und ging dann als Professor für Psychiatrie an die Universität in Washington DC, wo er seither lebte.
Noch vor kurzem konnte er seinen 68. Hochzeitstag mit seiner Frau Marian feiern, die ihn oft auf seinen Reisen begleitete. Das Paar hat drei Söhne, Egon, Paul und Alexander, sowie vier Enkelkinder.
Von seinen vielfältigen beruflichen Aufgaben will ich nur einige nennen, die sich auf sein Engagement in Europa beziehen. Helmut Thomä hatte er noch in seiner Psychiatrieweiterbildung in Yale kennengelernt, ein Kontakt mit der deutschen Psychoanalyse, der sich ausweiten sollte. Seit 1976 war John als Visiting Professor an der Ulmer Universität aktiv und dem Ulmer DPV-Institut verbunden. Er war bis in sein hohes Alter ein engagierten Teilnehmer der von dort organisierten Skiseminare. Vor 30 Jahren haben wir John Kafka an unser Institut nach Stuttgart eingeladen, zu einem Vortrag und zu Supervisionen, unsere erste Begegnung mit ihm und seiner Frau Marian. John leitete das Committee for Eastern Europe der IPA und gründete zusammen mit Han Groen das „Han Groen Prakken East European Institute“ (PIEE, jetzt EPI), an dem er bis 2014 aktiv als Consultant und vor allem als Supervisor an vielen Summer Schools teilnahm. Er leitete das IPA Moscow Sponsoring Committee; das MPS wurde 2015 die erste IPA-Gesellschaft Russlands.
Von seinen vielen Veröffentlichungen, in denen sich John u.a. mit den Besonderheiten der analytischen Arbeit mit psychotischen Patienten und deren Psychopathologie, mit der psychoanalytischen Technik, der Theorie von Übertragungsvorgängen, dem Zeiterleben, gesellschaftlichen Vorgängen, Traumata und dem Holocaust auseinandersetzte, seinen zwei Bücher herausgehoben. 1989 erschien sein Buch „Multiple Realities in Clinical Practise“, 1991 auf deutsch unter dem Titel „Jenseits des Realitätsprinzips: Multiple Realitäten in Klinik und Theorie der Psychoanalyse“ bei Springer. Und 2016 „Psychoanalysis: Unveiling the Past, Discovering the New: Selected Papers by John S. Kafka” bei Ipbooks. Im Band III von Ludger Herrmanns “Psychoanalyse in Selbstdarstellungen“, erschienen 1995, finden Sie einen Beitrag von John Kafka über sein Leben. In der Psyche sind mehrere Artikel von ihm erschienen. "Zum Problem der Realität - Reflexionen über Objektkonstanz, Ambiguität, Paradox und Zeit", Psyche, 31:712-731, 1977; "Reaktionen auf den Hamburger Kongress", Psyche 40, 10:874-877,1986; "Einsicht in Psychosen", Psyche, Stuttgart, 7:613-625, 1992; sowie der schon erwähnte Artikel "Zerbrechen und Unterbrechen." ; Psyche 61, April 2007.
John war es vergönnt gewesen, bis in sein hohes Alter aktiv zu bleiben, hellwach, verschmitzt, humorvoll und nachdenklich, mit großer Freude am Austausch. Er blieb als Analytiker, Supervisor und Berater gefragt und nahm als ein Zeitzeuge bis zuletzt Stellung.
Wir haben einen Begleiter, einen Freund, einen Denker und einen Psychoanalytiker, verloren. der sich in den Grenzbereichen der menschlichen Seele bewegen konnte,
Ingo Focke