Liebe Frau Kreuzer-Haustein,

Ich hatte den Wunsch, direkt nach der Jahrestagung ein paar Gedanken rückzumelden und vielleicht beizutragen zu einem Austausch über das Covid-bedingte Format:

Dankbar war ich, dass in der aktuell öden Diskussionslandschaft der „Nicht-Begegnungen“ die Jahrestagung stattfinden konnte und die sehr bereichernden Arbeiten der Vortragenden zu uns gelangen konnten. Es war ein fraglos großes, wenn auch auf gewisse Weise kulinarisches Vergnügen. Denn obwohl angesichts der langen Kontaktabstinenz es ein Fest war, die vertrauten Gesichter vieler Kolleginnen und Kollegen wiederzusehen, blieb doch wenigstens für mich etwas Wichtiges auf der Strecke: das Hören mit allen Sinnen und der Austausch, die gemeinsame Verarbeitung des Aufgenommenen in wechselnden Gruppen, ganz zu schweigen von den Seminaren mit lebhafter Gruppendiskussion. Es war von Anfang bis Ende hervorragende Kost, nachdenklich machende kunstvolle Arbeit am „Ungewissen“, die wir serviert bekamen. Sollte die Pandemie uns jedoch auch weiterhin zu solchen virtuellen Formaten nötigen, hätte ich den Wunsch, die Anregung, das Gemeinschaftliche auch vom technischen und moderatorischen Rahmen her stärker einzubeziehen. Unsere lebendige Präsenz lässt sich nicht ersetzen, das ist mir schon klar. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass auch mit kleinen Veränderungen einiges Mehr an Interaktion zu schaffen wäre: z.B. wenn eine Referentin nicht auf jeden Diskussionsbeitrag ausführlichst antwortet, sondern sich in den Diskussionsbeiträgen des Raumes ein Muster  bilden könnte, das Aufschluss über unbewusste Dynamiken geben und Konflikte in der Rezeption des gegebenen Vortrags weiterführend erhellen würde. Die Diskussion der einzelnen Referate war doch meist auf ca. 5 Beiträge – oft derselben Personen – beschränkt. Live ist das nicht so problematisch, weil in den Pausen und später unter Bekannten doch weiter diskutiert wird. Hier im Online-Format entstand in meiner Wahrnehmung jedoch eine gewisse Fragmentierung: Vortrag. Isolierte 3-5 Beiträge. Ende. Freundliches Winken. Vielleicht konnten  auch Sie spüren, dass gegen Ende der Tagung am Sonntag dann die Diskussion langsam etwas lebhafter wurde und es bedauerlich war, mit der etwas verspäteten Aufweichung der Kruste, dem Medium geschuldet, mitten in sehr interessanten Fragen schließen zu müssen, die durch Herrn Kamms differenziertes und methodisch kreatives Nachdenken angeregt worden sind. – Es gibt ja schon auch bei Zoom die Möglichkeit, die Arbeit in kleineren Gruppen fortzusetzen, Räume zu wechseln…

Die rein aufnehmende Bildschirm-gebundene Rezeption der Referate ist sehr anstrengend ( ein bisschen anders ! als unsere sitzende zuhörende Tätigkeit), aber durch die vielen in Kästchen auftauchenden menschlichen Gesichter mit teilweise persönlichen Hintergründen noch viel anstrengender, da etwas gezeigt wird, das nicht wirklich da ist: die oder der andere bleibt unerreichbar, schaltet mal ein, mal aus. Scheinbar alle da, geht es doch um lauter Abwesendes. Das gemeinsame Treffen findet allein vermittelt über die thematische Bearbeitung, die Gedanken der Referentin statt. Und doch macht es einen großen Unterschied, ob ich die Arbeit alleine lese oder am Bildschirm höre. Ein wenig mehr Präsenz, Kontakt sind online schon möglich. (Mehr Einbeziehung des Podiums und der Präsenzkolleginnen im Bild?) Mir wurde an diesem Erleben der JT deutlich, wie der Bildschirm auf eine gewisse Weise meine Aufmerksamkeit (noch?, ungewohnt?) fesselt, die Gedanken weniger in Bewegung bringt als sonst die Gemeinschaft im Raum, das Vibrieren der vielen DPGler, wenn wir uns erwartungsvoll einmal im Jahr und mehr zusammenfinden, um eben nicht – nur aufzunehmen -, sondern gemeinsam zu sprechen, uns abzugrenzen, anzunähern, zu trennen, zu verbinden, weiter zu entwickeln, die fachliche Diskussion mit Leib und Seele zu führen.

Sowohl mit M. Solms Neuro-PA – Ansatz, Herrn Bohlebers Selbst-Konzept- Ausführungen, die Fragen der postmodernen Elternschaft und geschlechtlicher Identitäten hat aus meiner Sicht die Göttinger Vorbereitungsgruppe am Puls der Zeit unsere fachliche Diskussion  bestens angeregt und uns bei allen realen Erschwernissen den Tisch hervorragend gedeckt. Den Titel von Harriet Wolfes Vortrag „Ties that bind in the Context of Uncertainity” einschließlich der mich sehr berührenden technischen Anfangsprobleme möchte ich am Schluss noch hervorheben, weil beides uns in meinem Erleben auf dieser JT erreicht hat: das Wertvolle unserer Zusammenarbeit in der Fachgesellschaft doppelt zu merken angesichts des erzwungenen Verzichts, dass wir nicht nur von der Verbindung profitieren, sondern sie wirklich brauchen, um Analytiker sein zu können, und: Wie begrenzt und hilflos wir letztlich doch oft sind, wenn wir uns den Klauen des Netzes anvertrauen. Und uns diesen schwierigen, alles bisher Gekannte überschreitenden inhaltlichen Fragen der PA widmen.

Ich bedanke mich herzlich bei den Göttingern und bei den anderen Aktiven, dem Vorstand, für das Zustandekommen dieser Tagung und den guten Input.

Herzlichen Gruß aus Bremen,
Celine Degenhardt

Dr. Phil. Celine Degenhardt, Bremen

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Ein Bericht zur Jahrestagung zum Thema "(Un-)gewissheiten - Psychoanalyse zwischen Common Ground und Diversität" folgt.