Carl Müller-Braunschweig
(08.04.1881 Braunschweig – 12.10.1958 Berlin), Dr. phil., Philosoph und Psychoanalytiker. Sein Vater betrieb eine Bautischlerei. Carl Müller-Braunschweig studierte von WS 1901 – WS 1908 Biologie, Anthropologie, Psychologie, Geschichte und Nationalökonomie. Sein besonderes Interesse galt dem Studium der Kantschen Schriften. Als er die Psychoanalyse, 1909, kennenlernte, verzichtete er auf eine Habilitation und damit auf eine Hochschullaufbahn. Er ergänzte seine Studien durch ein Medizinstudium (1912 - 1913/14), und wandte sich vor allem der Psychiatrie bei Karl Bonhoeffer zu. Er heiratete die Ärztin Dr. Josine Müller geb. Ebsen. Von seiner persönlichen Analyse bei Karl Abraham war er unbefriedigt und ging später (wie Josine Müller, Karen Horney und Ernst Simmel) zu Hanns Sachs. Seit 1919 war er Mitglied in der Berliner Psychoanalytischen Vereinigung. Seine Frau, Josine Müller, führt er auf der Karteikarte des „Deutschen Instituts“ als seine Analytikerin einer Fortbildungsanalyse von 1919 – 1920 an. Von 1922 - 1938 war er betraut mit der Organisation und Leitung des Unterrichtsausschuss des Berliner Psychoanalytischen Instituts/ dann des „Deutschen Instituts“. 1925 wurde er in den Zentralvorstand der IPV berufen. Im gleichen Jahr ließ sich Müller-Braunschweig scheiden, da die Ehe kinderlos geblieben war. Er heiratete seine Lehranalysandin Ada Schott, die sich später jungianisch orientierte aber DPG/DPV-Mitglied blieb. Ihre beiden Kinder wurden 1926 und 1927 geboren. Als stellvertretender Vorsitzender des „arisierten“ Vorstandes der DPG leistete er vor allem die ideologische Anpassung an das nationalsozialistische Regime (Memorandum). 1938 wurde er von M. H. Göring dazu beauftragt, als Treuhänder die Wiener Psychoanalytische Vereinigung, die Bibliothek und die Poliklinik zu übernehmen. Er plante eine Zeitschrift für deutsche Psychoanalyse unter ausdrücklichem Ausschluss des „jüdischen Einflusses“. Nachdem ein persönlicher Brief von ihm an Anna Freud, in dem er seine Anteilnahme ausdrückte, in die Hände der Gestapo gelangt war, verlor er das Vertrauen der nationalsozialistischen Funktionäre. Es war ihm nun verboten das „Deutsche Institut“ zu betreten und Lehranalysen durchzuführen. Auf der Generalversammlung der DPG wurde der Forderung der Nationalsozialisten nachgekommen, die DPG aufzulösen. Am 16.10.1945 konstituierte sich die DPG neu mit Müller-Braunschweig als Vorsitzendem. Der englische Psychoanalytiker John Rickman beurteilte ihn und Felix Boehm als diejenigen, die sich am tiefsten durch die Nationalsozialisten hatten korrumpieren lassen. 1949 gründete Müller-Braunschweig eine „Zeitschrift für Psychoanalyse“, die allerdings nach 2 Nummern ihr Erscheinen einstellen musste. Es kam zu massiven theoretischen und persönlichen Auseinandersetzungen mit Harald Schultz-Hencke, dem ärztlichen Begründer der Neoanalyse, dem eine staatliche Absicherung des Berufsstandes (Finanzierung von Psychoanalyse und Psychotherapie durch die Gesundheits- und Rentenbehörde im „Zentral Institut“) gelungen war. Die Konfrontation gipfelte in einer öffentlichen Kontroverse auf dem 1. Kongress der IPV nach dem Krieg 1949 in Zürich. Nachdem es Müller-Braunschweig nicht gelungen war, Schultz-Hencke zum Austritt aus der DPG zu veranlassen, gründete er heimlich die Deutsche Psychoanalytische Vereinigung (DPV, 11.09.1950). Auf dem IPV-Kongress in Amsterdam (1951) wurde die DPV in die IPV aufgenommen, die DPG nicht. Neben seiner psychoanalytischen Praxis war Müller-Braunschweig als Dozent für Psychoanalyse an der Freien Universität Berlin tätig. Er engagierte sich für eine ausführliche Freud-Exegese. Müller-Braunschweig starb in Berlin nach längerem arteriosklerotisch bedingtem Alterungsprozess.
Seine Berliner Adressen:
1921 - 1927 Schmargendorf, Helgolandstr. 1
1929 - 1958 Schmargendorf, Sulzaerstr. 3
(bis 1998 Karl-Abraham-Institut)
Literatur:
- Lockot, Regine (1985): Erinnern und Durcharbeiten. Zur Geschichte der Psychoanalyse und Psychotherapie im Nationalsozialismus. Frankfurt