Zur Geschichte der DPG

Die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft (DPG) entstand aus einem von Karl Abraham 1908 gegründeten Arbeitskreis, zunächst als Berliner Psychoanalytische Vereinigung (BPV). Sigmund Freud nahm als Abrahams Mentor daran lebhaften Anteil. Die BPV war die erste Zweigvereinigung der 1910 gegründeten Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV). Der Name „Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft“ wurde erst 1926 gewählt, weil außerhalb von Berlin, in Leipzig und Frankfurt, später in Hamburg, weitere psychoanalytische Arbeitsgruppen entstanden.

Verbindliche Standards für eine psychoanalytische Ausbildung mit Curriculum und Lehranalyse wurden 1923 mit der Gründung des Berliner Instituts unter der Leitung von Max Eitingon in Berlin eingeführt. Die Arbeitsgruppen außerhalb Berlins konnten nur einen Teil der psychoanalytischen Ausbildung abdecken. Das Zentrum der Ausbildung blieb – auch formal – Berlin.

Die antisemitischen und totalitären Verordnungen der Nationalsozialisten führten in der DPG zur Ausgrenzung der jüdischen Analytiker und zu einer Anpassung der Psychoanalyse an die Vorgaben einer „Deutschen Seelenheilkunde“. Ungefähr 100 Analytiker und Ausbildungskandidaten mussten Deutschland verlassen weil sie Juden waren. Die DPG musste ihren Namen aufgeben und durfte nur als „Arbeitsgruppe A“ im „Deutschen Institut für psychologische Forschung und Psychotherapie“ unter der Leitung eines Vetters Hermann Görings, des Nervenarztes Matthias Heinrich Göring, weiterexistieren. In Abhängigkeit von den widersprüchlichen Forderungen nationalsozialistischer Behörden trat die DPG 1936 aus der IPV aus – kurz danach machte sie den Austritt rückgängig. Mit den eingegangenen Kompromissen höhlte sich die DPG bis zur Unkenntlichkeit aus – zugleich aber profitierte sie in einer gewissen Weise im nationalsozialistischen System von der Nischenexistenz, die ihr durch den Namen „Göring“ und den damit verbundenen Privilegien zukam.

Bis zur Vereinnahmung der Wiener psychoanalytischen Einrichtungen durch die Nationalsozialisten vollzogen die Deutschen Psychoanalytiker diesen Spagat – dann misstrauten die Nationalsozialisten ihren Vertretern, Felix Boehm und Carl Müller-Braunschweig, den beiden Vorsitzenden der DPG; sie wurden mit teilweisem Berufsverbot belegt. 1938 musste sich die DPG offiziell auflösen. Als John Rittmeister, der der psychoanalytischen Gruppe nahestehende Leiter der psychoanalytischen Poliklinik, 1943 wegen seiner Mitgliedschaft bei der Widerstandsgruppe um Harro Schultze-Boysen hingerichtet wurde, musste sich die „Arbeitsgruppe A“ wiederum umbenennen, weil das „A“ angeblich zu sehr an „Analyse“ erinnerte. Sie hieß nun "Referentenkreis für Kasuistik und Therapie".

1945 gründete frühere DPG-Mitglieder die "Berliner Psychoanalytische Gesellschaft" (BPG) nach der Satzung der DPG von 1931 mit Müller-Braunschweig als erstem Vorsitzenden. Auf Anordnung der Britischen Militärverwaltung musste der Zusatz "Zweigvereinigung der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung" gestrichen werden. Erst 1950 ließ das Alliiertenrecht wieder die Bezeichnung „Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft“ zu.

Auf dem ersten internationalen psychoanalytischen Kongress nach dem Krieg in Zürich (1949) - die Kongresssprache der psychoanalytischen Community war nun nicht mehr Deutsch, sondern Englisch - wurde die DPG nur vorläufig wieder in die IPV aufgenommen, weil Zweifel an ihrer psychoanalytischen Identität und der moralischen Integrität ihrer Mitglieder bestanden. Das Misstrauen war fokussiert auf die theoretische Kontroverse zwischen Müller-Braunschweig, der die „klassische“ psychoanalytische Position vertrat, und Harald Schultz-Hencke, der auch während der NS-Zeit seine neoanalytische Theorie unangefochten hatte weiterentwickeln dürfen. 1950 trennte sich Müller-Braunschweig mit einer kleinen Anhängergruppe von der DPG und gründete die „Deutsche Psychoanalytische Vereinigung“ (DPV). Die DPV wurde 1951 wieder in die IPV aufgenommen, die DPG nicht. Erst auf dem IPV-Kongress 2001 in Nizza konnte die DPG durch ein besonderes Procedere die IPV-Mitgliedschaft als „IPA Executive Council Provisional Society“ wieder erlangen.
 
Obwohl Deutschland vor dem 1. Weltkrieg als „klassisches Land des Widerstands gegen die Psychoanalyse“ (Eitingon) gegolten hatte, gab die geistig so reiche und intellektuell fruchtbare Epoche in den 20er Jahren Anlass zu der Hoffnung, dass ein Durcharbeiten des Widerstandes nachhaltig gelingen könne.

 

Die DPV wurde 1951 wieder in die IPV aufgenommen. Erst nach einem langen Prozess der Auseinandersetzung mit der Geschichte und der fachlichen Wiederannäherung an die internationale psychoanalytische Gemeinschaft wurde die DPG 2009 in Chicago als Zweiggesellschaft der IPV anerkannt. Die Hoffnung, Psychoanalyse könne einen moralischen Schutz gegen totalitäre Herrschaft mit ihren Mechanismen von Korruption, Unterwerfung und Verführung bieten, erfüllte sich nicht. Die Nationalsozialisten erzwangen auch formal ein Ende der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft. Deshalb lässt sich die Chronik der DPG nur als Prozess des Aufblühens einer geistig kulturellen Bewegung, ihrer Zerstörung und des Bemühens, das Zerstörte und Verlorene wiederherzustellen, darlegen.
 

Heute gehört es zu den Aufgaben der DPG, beides zu integrieren: die Erinnerung an die Herkunft aus einer geistig blühenden Bewegung und die Beschämung und Enttäuschung über den Mangel an einer moralisch integeren Linie vieler Mitglieder der DPG in der Zeit des Nationalsozialismus. Es kann für Psychoanalytiker in Deutschland keine ungebrochene Linie der Kontinuität psychoanalytischer Geschichte und Identität geben. Beide psychoanalytische Gesellschaften – DPG und DPV – tragen gemeinsam die Verantwortung für die Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland.